Anneliese Scharfe
Anneliese Scharfe (geb. Damm, Jahrgang 1928), Merseburger Straße 3, ist Schneiderin und eine Zeitzeugin der Luftangriffe 13. Februar 1945.
[Bearbeiten] Erlebnisbericht
Unser kleines Haus, dessen Eigentümer mein Vater war, stand etwas verlassen, zwei Vollgeschosse und ein Dachgeschoss hoch, zwischen großen vierstöckigen Stadthäusern (Nr. 1 und 5 und 5b), die bereits nach einem neuen Bebauungsplan anstelle kleinerer und dörflicher Häuser errichtet waren. Unser Haus hatte auch ein Hintergebäude und vor dem Haus einen kleinen Garten mit Bäumen. Auf der anderen Straßenseite standen auch zwei große Stadthäuser (Nr. 2 und 2b) mit dem Optiker Bobe, dann folgten in Richtung Altstriesen auf beiden Straßenseiten noch die alten kleinen Dorfhäuser. Die Fahrstraße zwischen unseren Häusern verlief etwas vertieft, was auf das ursprünglich tiefere Niveau hinwies, als vor vielen Jahren sich hier noch ein alter Elbarm befand.
Meine Familie stammte aus Niesky. Mein Vater Alfred Bruno Damm war dort arbeitslos geworden, mit der Familie etwa 1932 nach Dresden gezogen und hatte die Tintenfabrik Reimann auf der Schubertstraße übernommen. Da dort alles zu klein war, erfolgte ein Umzug auf die Merseburger Straße 3. In die Schule bin ich zur Markgraf-Heinrich-Schule gegangen. Dann besuchte ich eine Handelsschule und die Chemieschule (Clemens und Böttcher) der Stadt, weil diese Ausbildung besser zu den Aufgaben einer Tintenfabrik passte und ich so um den Arbeitsdienst kam. Mein Vater war aus Altersgründen nicht eingezogen, sondern dienstverpflichtet in Freital eingesetzt. Die Tintenfabrik war bis zum Angriff in Betrieb. Tätig waren darin vorwiegend meine Eltern. Der Tinten-Vetrieb erfolgte über einen Leiterwagen an die Kunden.
Am 13. Februar 1945, dem Tage des Angriffs auf Dresden, ging ich, damals 17-jährig, unbekümmert, da wir ja glaubten, in Dresden kann nichts passieren, zu einer wahrscheinlich politischen Veranstaltung in die Stadt. Die Heimfahrt verlief gut bis zur Wartburgstraße zur Straßenbahnhaltestelle Wartburgstraße Ecke Tittmannstraße, wo ich ausstieg. Dort begannen die Sirenen zu heulen. Natürlich lief ich schnell heimwärts. Zu Hause angekommen, hörten meine Eltern den Drahtfunk per Telefon, darin wurden starke Bomberverbände in Richtung Dresden angekündigt. Es dauerte nur kurze Zeit, und man hörte schon das Heulen und Krachen der Bomben. Unser Keller wurde schleunigst aufgesucht. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir im Keller hockten. Froh waren wir immer, wenn das Krachen nicht in unserer Nähe war. Die Häuser in unserer Nähe auf der Merseburger Straße blieben vom Bombenhagel verschont, und wir konnten wieder aus dem Keller hochsteigen. Ich weiß auch nicht mehr, ob die Fensterscheiben und die Schuppen im Hof schon beim ersten Angriff in die Brüche gegangen waren, denn nicht viel später begann der zweiten Angriff. Auch dabei blieb unser Haus stehen. Es war furchtbar, die Hausbewohner saßen ein zweites Mal verängstigt im Keller. Über uns wieder das Heulen, Pfeifen und Krachen der Bomben. Nach dem zweiten Angriff brannte vieles im Hof, um uns herum überall Brandgeruch und Rauch.
Wir haben versucht, aus dem Schuppen noch einiges zu retten, aber vergeblich. Nun war erst einmal Ruhe bis zum Vormittag des nächsten Tages. Meine Eltern hatten beschlossen, dass ich mit unserem Untermieter samt etwas Gepäck aus Gründen meiner Sicherheit nach Röhrsdorf zu Verwandten gehen sollte. Da begann der dritte Angriff am Mittag. Wir hatten es nur bis zum Nebenhaus geschafft und mussten dort schnell in den Keller flüchten. Irgendwann später sind wir dann doch noch aufgebrochen. Unser Haus, auch die Tintenfabrik und das Hintergebäude, waren auch diesmal verschont geblieben.
Als ich nach ein Paar Tagen wieder zu Hause war, erlebte ich, wie man ohne Wasser, Gas und Strom auskommen musste. Das Wasser musste aus einem Brunnen aus der Nachbarschaft geholt werden. Meine Mutter kochte auf dem Küchenofen. Der Strom kam als erstes wieder. Wir hatten einen Bekannten – ein Ausgebombter – aufgenommen. Die Geschäfte waren leer oder kaputt. In der Haydnschule gleich in unserer Nähe waren Lebensmittel eingelagert. Dort versorgten sich die Leute. Ich glaube, auch wir haben einen kleinen Vorrat an Mehl oder Zucker geholt. Die Straßenbahn, mit der ich am 13. Februar heimgefahren war, stand noch wochenlang ausgebrannt an der Haltestelle.
In die Schule konnte ich nicht weiter gehen, sie war zerstört. Als ich später in der Stadt die zerstörte Schule aufsuchte, hingen noch unsere weißen Kittel wahrscheinlich in einem Hintergebäude. Noch vor Kriegsende kamen unsere Verwandten aus Niesky zu uns, so dass das Haus voll war. Die Verwandten hatten zwei kleine Kinder.
Kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee in den ersten Maitagen, wollten wir wieder nach Röhrsdorf flüchten, kamen aber nur bis Niedersedlitz, wo uns bereits die Russen erwarteten und meinem Vater seine goldene Uhr abnahmen. Wir kehrten wieder um und erreichten unser Haus in der Merseburger Straße. Hier wurden wir von den Russen nicht mehr belästigt, aber Angst hatten wir noch lange. Ich selbst wurde von der Straße abgefangen und musste Bombentrichter unter anderem auf der Dohnaer Straße zuschaufeln und andere Arbeiten, auch unter Aufsicht der Russen, verrichten. Abends konnten wir nach Hause und am nächsten Tag wieder zur Arbeit erscheinen.
Meine Mutter vermittelte mir eine Lehre als Schneiderin, die ich auch abschloss. Die Kenntnisse als Schneiderin waren für mich im weiteren Leben sehr wertvoll. Eigentlich wollte ich ja in der Chemiebranche weiter tätig sein. Mein Sohn wurde 1949 geboren. Danach war ich 32 Jahre lang im Labor der Schuhcreme-Fabrik Eggü auf der Augsburger Straße beschäftigt. In unserem Haus in der Merseburger Straße 3 haben wir noch bis in die DDR-Zeit bis etwa 1964 gewohnt, als ich schon verheiratet war. Dann wurde das Haus von meiner Mutter an einen Bauern verkauft, und wir sind in die Neustadt (Obergraben, Hauptstraße) gezogen.