Tanzraum

Stadtwiki Dresden - Freiraum für Ideen und Wissen über Dresden
Wechseln zu: Navigation, Suche

Der Tanzraum mit Bar wurde am 23. März 1957 mit dem "Klub der Intelligenz" im Dresdner Lingnerschloss eröffnet. Es traten dort mehrere Tanzformationen auf, um für Abwechslung zu sorgen. Eine Hausformation bestand zunächst nicht. Ab dem 1. Mai 1958 gab es dort die erste deutsche Diskothek, damals noch euphemistisch als "Tanz in den Mai" mit Schallplattenunterhaltern verbrämt.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Begriff

Der Tanzraum sollte sich bereits in der Bezeichnung von der westdeutschen (Jockey-)Tanz-Bar abheben und diente neben dem Tanz insbesondere der Geselligkeit und dem Genuss an einer kleinen Bar. Zutritt hatten nur gutbürgerliche Sozialisten vor allem aus dem Umfeld des Weißen Hirschs. Der "Klub der Intelligenz" im Lingnerschloss kam in seiner Glanzzeit auf etwa 300 Mitglieder.

Mit dem Begriff Tanzraum wollte sich die DDR von der Pariser La Discothèque aus den 1940er Jahren und den damaligen Platter parties der USA absetzen. Die ersten Jockey-Tanz-Bars in der BRD entstanden erst 1959 ohne jede staatliche Förderung wie in Dresden. Auch wurde der Begriff Schallplattenunterhalter (SPU) als Gegenentwurf zum westlichen Discjockey (DJ) in Dresden erstmals verwendet.

[Bearbeiten] 23. März 1957: Eröffnung

Innerhalb des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands wurden seit 1953 in den Bezirksstädten der DDR "Klubs der Intelligenz" geschaffen, so auch in Dresden.

Am 23. März 1957 eröffnete Manfred von Ardenne im Lingnerschloss einen zweiten Dresdner "Klub der Intelligenz" mit noch erheblich größerer Exklusivität, womit das Anliegen von Karl August Lingner, das Haus der gesamten Bevölkerung zugänglich zu machen, in das genaue Gegenteil verkehrt wurde. Durch die offene Grenze zur BRD sah sich die DDR zur Hochprivilegierung ihrer wichtigsten Leistungsträger genötigt.

[Bearbeiten] 1. Mai 1958: Erste Diskotheken in Deutschland

Im Tanzraum spielten zunächst verschiedene Ensembles. Als infolge gehäufter Republikflucht im Frühjahr 1958 gleich mehrere Bands ausfielen, wurde am Donnerstag, dem 1. Mai 1958 beim "Tanz in den Mai" die Musik von Plattenspielern gespielt. Diese Veranstaltungsform der Diskothek wurde bereits am Donnerstag, den 8. Mai 1958 wiederholt. Beide Tage waren damals gesetzliche Feiertage in der DDR. Der damals frisch eingerichtete "Klub der Intelligenz" im Lingnerschloss verfügte über die seinerzeit hochwertigste Phono-Technik. Tonbänder bedurften seit der "Verordnung über die Wahrung der Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte auf dem Gebiet der Musik" vom 17. März 1955 einer besonderen Lizensierung durch die Anstalt zur Wahrung der Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte auf dem Gebiet der Musik (AWA) in Ostberlin (ab 1957 in der Straße am Potsdamer Bahnhof, nach dem Mauerbau dann erzwungener Umzug in den Neuen Marstall auf dem Schloßplatz). Hierdurch kam es in der ersten Zeit nicht zum Einsatz von Tonbandgeräten.

[Bearbeiten] 1960: modernste Musiktruhe mit leistungsstarken Boxen

1960 wurde in den Tanzraum eine sogenannte "Musiktruhe" eingebaut (nicht zu verwechseln mit der Musikbox, auch Jukebox). Diese verfügte über einen Plattenwechsler[1], zwei weiteren Plattenspielern zum Wechseln der Schallplatten während des Abspielen eines Titels und ein Tonbandgerät KB100 II[2] vom VEB Fernmeldewerk Leipzig. Diese Musiktruhe war rundum verschließbar und besaß Anschlüsse an separate Verstärkeranlagen mit Boxen. Im Plattenschrank des Tanzraumes wurden nun auch einige von der AWA lizensierte Tonbänder und Spulen zum Umspulen gelagert, die allerdings selten zum Einsatz kamen. Statt dessen wurden von den SPUs nun private Tonbänder von zuhause mitgebracht, welche fortan die Diskothek dominierten. Hierdurch erhöhte sich die Chance für einen SPU, fehlende Vielfalt in seiner Plattensammlung durch Tonbandaufnahmen zu kompensieren. 1960 hatte sich allerdings der Name Schallplattenunterhalter bereits eingebürgert, der selbst noch 1973 in der neuen Verordnung über die Diskotheken festgeschrieben wurde. An dem Begriff wurde auch festgehalten, um von der bereits massenhaften Verwendung privater und unlizensierter Tonbänder zu diesem Zeitpunkt abzulenken.

[Bearbeiten] 1965: Geheimtipp nach dem offiziellen Verbot der "dekadenten westlichen Musik"

Mit dem Stones-Konzert am 15. September 1965 in Westberlin war die Duldung der Beat-und Rockmusik durch die DDR schlagartig vorbei. Die DDR-Führung in Ostberlin hatte auf einen solchen Anlaß regelrecht gewartet, denn bereits im Jahr davor (1964) wurde Chrustschow in der Sowjetunion entmachtet, womit dort die Tauwetter-Periode zu Ende ging.

Ein ZK-Beschluss vom 11. Oktober 1965 sah vor, "daß solchen 'Laienmusikgruppen, deren Darbietung aus dekadenter westlicher Musik besteht, die Lizenz entzogen wird".

Zehn Tage später kam per Post das unbefristete Spielverbot für die Butlers, eine Leipziger Band, welche die Beatles kopierte (was hinter Mauer und Stacheldraht keine rechtlichen Konsequenzen hatte). Die 1958 gegründete Gruppe war 1962 schon einmal verboten worden - unter dem Namen "Klaus-Renft-Combo". Zur Begründung hieß es: "Das Auftreten Ihrer Kapelle steht im Widerspruch zu unseren moralischen und ethischen Prinzipien." Ebenso erging es den meisten anderen Beat- und Rock-Bands.

Viele Musiker sahen sich mit einer Hetzkampagne konfrontiert, welche im Vorwurf der Steuerhinterziehung gipfelte. 10.000 Ostmark sollten allein die Butlers unterschlagen haben - damals mehr als zwei Jahresgehälter. Der Butlers-Schlagzeuger Hans-Dieter Schmidt wurde kurzfristig als Reservist zur NVA eingezogen und saß bereits am 31. Oktober 1965, dem Tag der Leipziger Beatdemo, in der Kaserne. Klaus Renft schaute kurz vorbei, verschwand aber gleich wieder, um nicht sofort als "Rädelsführer" verhaftet zu werden. Es hatten sich etwa 2000 bis 2500 vor allem jugendliche Personen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz vor dem Neuen Rathaus versammelt, unter ihnen ein Kern von etwa 800 "echten" Beatanhängern und viele Funktionäre und Sicherheitskräfte in Zivilkleidung. Mit einem massiven Polizeiaufgebot, unter Einsatz von Gummiknüppeln, Hunden und einem Wasserwerfer, wurde die Demonstration aufgelöst.

Allem Protest zum Trotz: Am Ende zogen die Musiker der verbotenen Bands den Kürzeren. Sie mussten neue Combos gründen oder aufs Land gehen: dorthin, wo die Kontrollen laxer waren. Klaus Renft kam als heimlicher Bandleader bei einer Gruppe mit dem harmlosen Namen "Ulf Willi Quintett" unter, der Schlagzeuger Schmidt wechselte nach dem dreimonatigen Reservedienst bei der NVA zu den in Bitterfeld registrierten "Jokers". Von den 58 registrierten Leipziger Bands waren 54 verboten worden. Hier ging die Staatsmacht besonders regide gegen die "dekadente westliche Musik" vor.

Von den laut SED-Rapport 267 Verhafteten (sie wurden mit Gummiknüppeln auf die bereitstehenden Lastwagen geprügelt) der Beatdemo wurden 164 strafrechtlich verfolgt. "Die vollständige Auflösung der Konzentration war nach 20 Minuten vollzogen", hieß es später im Stasi-Bericht. 97 von ihnen mussten mehrere Wochen lang im Braunkohlenkombinat Regis-Breitingen schuften. Die drei Flugblatthersteller für die Beatdemo flogen auf, weil eine ihrer Mütter, eine stramme Parteigenossin, den Stempelkasten gefunden und ihre Kinder verpfiffen hatte.

Doch die Fans gaben sich nicht geschlagen: "Freiheit für den Beat", "Nieder mit dem Polizeiterror" und "Prügelhunde weg, pfui, Beat-Klubs her!", lauteten die Parolen, die junge Leipziger nach der Demo nachts heimlich an Hauswände, Schaufenster und Parkbänke der Messestadt pinselten.

Die DDR führte nach diesem Ereignis den Begriff des Rowdytums als Straftatbestand ein und reagierte auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 mit einer radikalen Wende in der Kultur- und Jugendpolitik. Fast alle der 300 Gitarrenbands in Ostberlin wurden zwangsweise aufgelöst.

Für den hochprivilegierten Tanzraum des "Dresdner Klubs" im Lingnerschloss galten natürlich andere Maßstäbe. Dort konnte unter Ausschluß der Öffentlichkeit intern die "dekadente westliche Musik" munter weiter gepflegt werden. Entsprechend hoch war der Andrang junger Frauen, zu den handverlesenen Gästen gehören zu dürfen. Nur die Attraktivsten hatten eine Chance. Udo Lindenberg beschrieb Jahre später dieses Phänomen in seinem Song Honky Tonk Show (1974):

"Wo die Lautsprecher stehn, sind die Mädchen

weil da die heiße Luft vibriert

und das finden sie so

oh, oh, ooh

sie sind fasziniert, fast hypnotisiert ..."

[Bearbeiten] Ab 1966: Refugium handverlesener Schallplattenunterhalter, die den "Dreck" weiterspielen dürfen

Entsprechend hart war auch das Vorgehen gegen die damals noch relativ dünn gesäten rund 1700 Diskotheken zu dieser Zeit, welche natürlich fast alle vor allem die beim Publikum sehr beliebte Beat- und Rock-Musik spielten. SPUs bekamen reihenweise die Lizenzen entzogen oder wurden praktischerweise zum 1. November 1965 zur NVA eingezogen resp. zur Reserve (die NVA zog zweimal im Jahr ein, am 1. Mai und am 1. November). Darüber hinaus gab es etliche Verhaftungen von SPUs, die den Lizenzentzug mit illegalen Diskotheken umgingen.

Auf der Amiga-Beatles-LP von 1965 befand sich auch der Hit She Loves You. Bereits im Dezember des Jahres der Veröffentlichung (auf dem 11. Plenum des ZK der SED vom 16. Dezember18. Dezember 1965) äußerte sich Walter Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrats der DDR, unmißverständlich gegen diesen Titel als Paradebeispiel "westlicher dekadenter Musik":

Im April 1965 noch gepreßt, im Dezember 1965 bereits verteufelt - so bewies die SED mal wieder die "gerade Linie der Partei".

Bis auf wenige, handverlesene, staatstreue und stasikontrollierte SPUs wurden alle anderen mit einem Entzug der Lizenz belegt. Die Behörden wurden angewiesen, "in aller Härte gegen solche Auswüchse während und nach Tanzveranstaltungen (...) sowie überhaupt gegen diese 'Hottentottenmusik' vorzugehen." Die DDR eröffnete einen "Kulturkampf" gegen die eigene Bevölkerung.

Der "Dresdner Klub" im Lingnerschloss gehörte selbstverständlich nicht zur "Bevölkerung". In diesem hochprivilegierten Refugium hatten handverlesene Schallplattenunterhalter die Chance, den "Dreck" weiterspielen zu dürfen: je "dreckiger", um so besser. Nicht nur die letzten verbliebenen Dresdner Schallplattenunterhalter drängelten sich, auflegen zu dürfen, sondern selbst aus Leipzig oder sogar Ostberlin reisten dort arbeitslos gewordene Schallplattenunterhalter an. Eine Eintrittskarte wurde zum Hauptgewinn für erlebnishungrige DDR-Bürger.

[Bearbeiten] 1966 bis 1972: Die "Hottentottenmusik" auf Null gebracht

Nach dem "Hottentottenmusik"-Erlaß von 1965 wurden alle Diskotheken, welche die "dekadente westliche Musik" gespielt hatten, spielten oder verdächtig waren, sie spielen zu können, ausgemerzt.

Walter Ulbricht war persönlich gegenüber dieser "dekadenten westlichen Musik" voreingenommen. Seine Meinung war Gesetz. Von einem Stadtmodell zum Aufbau Dresdens entfernte er zu dieser Zeit (1961) persönlich die Sophienkirche, deren rekonstruktionsfähigen Reste zumindest in der mittelalterlichen Form hätten wieder aufgebaut werden können. In der Folge wurde die Sophienkirche als letzter und kulturhistorisch bedeutender mitelalterlicher Bau Dresdens vollständig beseitigt und statt dessen der Fresswürfel (HO-Gaststätte „Am Zwinger“ errichtet. 1968 wurde in Leipzig, der Heimatstadt Ulbrichts, auf Betreiben des Politbüros der SED unter Walter Ulbricht sogar die intakte Paulinerkirche (auch Universitätskirche) abgerissen. In der ganzen DDR fielen vor allem sakrale Bauwerke einer "Kulturrevolution" zum Opfer.

Von den etwa 1.700 Diskotheken des Jahres 1965, die durch Rockn'-Roll, Boogie, Twist, Shadow-Ära und schließlich Beatlemania wie Pilze aus dem Boden schossen, waren durch diese "Kulturrevolution" 1970 nur noch etwa 10 (in Worten: zehn) linientreue Diskotheken offiziell übrig:

Der Tanzraum im Lingnerschloss war damals eine von den "kaum mehr als zehn" Diskotheken in der DDR. Entsprechend war auch der Andrang, hineinzukommen.

[Bearbeiten] Anfang 1967: Kampagne gegen "Tendenzen der Amerikanisierung auf dem Gebiet der Kultur"

Anfang 1967 folgte auch noch eine Kampagne gegen "Tendenzen der Amerikanisierung auf dem Gebiet der Kultur" - die natürlich an diesem Refugium der Höchstprivelegierten abperlte und vorbeiging. Für die Haute­vo­lee der DDR galten eigene, ganz andere Gesetze.

[Bearbeiten] Anmerkungen

  1. Ein Plattenwechsler eröffnete die Möglichkeit, mehrere Platten gleichzeitig einzulegen und diese nacheinander abspielen zu lassen. Hierzu wurden die Platten auf eine verlängerte Mittelachse aufgesteckt und mit einem Mechanismus festgehalten. War eine Platte fertig gespielt, wurde die nächste auf den Plattenteller fallengelassen. Manche Modelle verfügten über eine Abtastfunktion, die den Durchmesser der Platten ermittelte und es somit ermöglichte, auch Platten unterschiedlicher Größe nacheinander abzuspielen. Nachteile waren jedoch, dass die Platten nicht umgedreht werden konnten und damit nur eine Seite pro Platte abgespielt werden konnte.
  2. Das KB100 II war das verbesserte Nachfolgegerät des KB 100, das nur von 1958 bis 1959 vertrieben wurde. Es kostete damals stolze 988 Ostmark - etwa zwei bis drei Monatsgehälter (das KB 100 nur 790 Ostmark) - und war ein zeittypisches Doppelspur-Mono-Koffertonbandgerät mit 2 Geschwindigkeiten (polumschaltbarer Synchronmotor) und automatischer Bandendabschaltung. Es verfügte über einen Halbspurkombi- und einen Löschkopf sowie HF-Vormagnetisierung. Die Löschung erfolgte automatisch bei Aufnahme, durch betätigen der Löschsperre waren aber auch Trickaufnahmen möglich.
  3. Berliner Stimme vom 13.01.1979.
Meine Werkzeuge
Namensräume
Varianten
Aktionen
Navigation
Werkzeuge