Schallplattenunterhalter
Der Schallplattenunterhalter (SPU) war in der DDR die offizielle Bezeichnung für den westlichen Discjockey (DJ). Dieser Begriff wurde am 1. Mai 1958 erstmals in Dresden bei einem "Tanz in den Mai" im Tanzraum mit Bar im "Klub der Intelligenz" (Lingnerschloss) verwendet, bei der Musik von Plattenspielern gespielt wurde. In den 1980er-Jahren bürgerten sich auch die Begriffe Diskotheker oder Disko-Moderator (bei der "Gestalteten Diskothek") ein.
[Bearbeiten] 1. Mai 1958: Beginn im Klub der Intelligenz Lingnerschloß
Die erste Dresdner Diskothek mit Schallplattenunterhaltern (SPU) entstand am 1. Mai 1958 im Tanzraum mit Bar im "Klub der Intelligenz" im Lingnerschloss. Es war nicht nur die erste Diskothek in der DDR, sondern auch in ganz Deutschland.
Innerhalb des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands wurden seit 1953 in den Bezirksstädten der DDR Klubs der Intelligenz geschaffen, so auch in Dresden.
Am 23. März 1957 eröffnete Manfred von Ardenne im Lingnerschloss einen zweiten Klub der Intelligenz mit noch erheblich größerer Exklusivität, womit das Anliegen von Karl August Lingner, das Haus der gesamten Bevölkerung zugänglich machen, in das genaue Gegenteil verkehrt wurde. Durch die offene Grenze zur BRD sah sich die DDR zur Hochprivilegierung ihrer wichtigsten Leistungsträger genötigt.
Zur Unterscheidung vom ersten Klub der Intelligenz wurde der Klub im Lingnerschloss euphemistisch auch als Dresdner Club bezeichnet, obwohl gerade dieser Klub fast die gesamte Dresdner Bevölkerung ausschloss.
Im Tanzraum spielten zunächst verschiedene Ensembles. Als infolge gehäufter Republikfluchten[1][2] im Frühjahr 1958 gleich mehrere Bands ausfielen, wurde am Donnerstag, dem 1. Mai 1958 (vgl. Erster Mai) umständlich Musik von zwei separaten Plattenspielern gespielt. Diese Veranstaltungsform wurde bereits am Donnerstag, den 8. Mai 1958 (Tag der Befreiung) wiederholt. Beide Tage waren damals gesetzliche Feiertage in der DDR. Der damals frisch eingerichtete "Klub der Intelligenz" im Lingnerschloss verfügte über die seinerzeit hochwertigste Phono-Technik. Allerdings war der Plattenschrank überwiegend mit Ost-Schallplatten bestückt, so daß es sich bald einbürgerte, daß die SPUs mit eigenen Platten aufspielten. Je besser ein SPU mit westlichen, vor allem aktuellen Schallplatten bestückt war, um so höher war seine Chance, aufspielen zu dürfen. Tonbänder bedurften seit der "Verordnung über die Wahrung der Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte auf dem Gebiet der Musik" vom 17. März 1955 einer besonderen Lizensierung durch die Anstalt zur Wahrung der Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte auf dem Gebiet der Musik (AWA) in Ostberlin (ab 1957 in der Straße am Potsdamer Bahnhof, nach dem Mauerbau dann erzwungener Umzug in den Neuen Marstall auf dem Schloßplatz). Hierdurch kam es in der ersten Zeit nicht zum Einsatz von Tonbandgeräten.
Mit dem Begriff Tanzraum wollte sich die DDR von der Pariser La Discothèque aus den 1940er Jahren und den damaligen Platter parties der USA absetzen. Die ersten Jockey-Tanz-Bars in der BRD entstanden erst 1959 ohne jede staatliche Förderung wie in Dresden. Auch der Begriff Schallplattenunterhalter wurde als Gegenentwurf zum westlichen Discjockey (DJ) in Dresden erstmals verwendet.
[Bearbeiten] 1959: Sozialistischer Tanz: Lipsi und Berolina
Ebenfalls 1958 wurde der sozialistische Lipsi von dem Tanzlehrer-Ehepaar Christa und Helmut Seifert erfunden. Bekannteste Interpretin der Musik war die Sängerin Helga Brauer. Diese Künstler kamen aus Leipzig, der Name lehnt sich an die lateinische Version des Stadtnamens Lipsia an. Er stand damit in einer Reihe von neu erfundenen DDR-Tänzen wie dem Berolina.
1959 wurde der Lipsi auf der Tanzmusikkonferenz in Lauchhammer vorgestellt. Grund für die Erfindung dieses Tanzes waren die von der DDR als Bedrohung wahrgenommenen westlichen Musikmoden, insbesondere Boogie-Woogie oder Rock ’n’ Roll, die als unerwünschte kapitalistische Beeinflussung der eigenen Jugend angesehen wurden. Diesen Musikmoden sollte eine sozialistische Tanzmusikkreation entgegenwirken. Im Vorgriff auf den erhofften Erfolg meldete die DDR den Lipsi weltweit zum Patent an - ein Rohrkrepierer, resultierend aus maßloser Überheblichkeit und Fehleinschätzung. Selbst in der DDR wurden derartige Umerziehungsversuche vehement abgelehnt. Nicht nur in Dresden und in Ostberlin, auch in Halle und in anderen Städten der DDR hatten sich die Jugendlichen in Sprechchören gegen den staatlich verordneten Tanz gewendet. So demonstrierten am 2. November 1959 vierzig junge Menschen durch die Leipziger Innenstadt. Sie skandierten dabei unter anderem:
- "Wir tanzen keinen Lipsi und nicht nach Alo Koll, wir sind für Bill Haley und tanzen Rock ’n’ Roll."[3]
Die Stasi löste die Demonstration auf. 15 der Teilnehmer wurden zu Haftstrafen zwischen sechs Monaten und viereinhalb Jahren verurteilt.
Die Flamingos: "Alle tanzen Lipsi" und Martin Möhle Combo: "Willibalds Lipsi" spielten das Kunstprodukt Lipsi erstmals auf einer Amiga-Single 1959 ein. Es folgte dann eine Single mit Helga Brauer: "Heute tanzen alle jungen Leute" und dem Rundfunk-Tanzorchester Leipzig, Leitung Kurt Henkels: "Lipsi Nr 1.
Diese Lipsi- und Berolina-Musik wurde für Dresdner Tanzensembles und auch für die Diskothek im Lingnerschloss Pflicht.
Der "Messe-Lipsi", wieder mit dem Rundfunk-Tanzorchester Leipzig und Kurt Henkels, war einer der letzten Titel von Amiga, bei dem der Name Kurt Henkels auf dem Label genannt wurde. Henkels ertrug die Bevormundung und Verpflichtung durch die SED nicht länger und floh in die Bundesrepublik Deutschland. Als Folge der seit 1955 von Moskau ausgehenden kulturpolitischen Wende sollte das Repertoire seines Orchesters einen Anteil westlicher Kompositionen von nicht mehr als 40 % enthalten. Repertoirelisten mussten zur Genehmigung vorgelegt werden.
Diese 60/40-Regel wurde schon 1958 bei Dresdner Tanzensembles Pflicht und galt bei der Diskothek im Lingnerschloss von Anfang an. Im Gegensatz zu den öffentlich auftretenden Tanzensembles konnte der exklusive Klub der Intelligenz diese Bestimmung allerdings von Anfang an ohne jede Konsequenz ignorieren.
[Bearbeiten] 1960: Musiktruhe mit Plattenwechsler und Tonbandgerät
1960 wurde in den Tanzraum eine sogenannte "Musiktruhe" eingebaut (nicht zu verwechseln mit der Musikbox, auch Jukebox). Diese verfügte über einen Plattenwechsler[4], zwei weiteren Plattenspielern zum Wechseln der Schallplatten während des Abspielen eines Titels und ein Tonbandgerät KB100 II[5] vom VEB Fernmeldewerk Leipzig. Diese Musiktruhe war rundum verschließbar und besaß Anschlüsse an separate Verstärkeranlagen mit Boxen. Im Plattenschrank des Tanzraumes wurden nun auch einige von der AWA lizensierte Tonbänder und Spulen zum Umspulen gelagert, die allerdings selten zum Einsatz kamen. Statt dessen wurden von den SPUs nun private Tonbänder von zuhause mitgebracht, welche fortan die Diskothek dominierten. Hierdurch erhöhte sich die Chance für einen SPU, fehlende Vielfalt in seiner Plattensammlung durch Tonbandaufnahmen zu kompensieren. 1960 hatte sich allerdings der Name Schallplattenunterhalter bereits eingebürgert, der selbst noch 1973 in der neuen Verordnung über die Diskotheken festgeschrieben wurde. An dem Begriff wurde auch festgehalten, um von der bereits massenhaften Verwendung privater und unlizensierter Tonbänder zu diesem Zeitpunkt abzulenken.
[Bearbeiten] 1963: "Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihr überlassen"
"Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihr überlassen: Hauptsache, sie bleibt taktvoll", hieß es in einem überraschend liberalen SED-Kommuniqué von 1963. Statt Beat und Rock 'n' Roll weiter zu verteufeln, beugte sich die Partei ab Anfang der 1960er Jahre nolens volens dem Musikgeschmack der damals sogenannten "Halbstarken", um sie nicht gänzlich zu vergrätzen. Man wollte den gerade eingemauerten Jugendlichen ein wenig entgegenkommen und sorgte dafür, dass sie die Musik bekamen, die sie wollten.
Die DDR-Führung stand deswegen den jungen Bands anfangs aufgeschlossen gegenüber, sah man doch eine Möglichkeit, über die Beatbewegung Einfluss auf die Jugend zu erhalten. Insbesondere örtliche FDJ- und Kulturfunktionäre kümmerten sich um die Bands und unterstützten sie sogar.
Diese Kulturpolitik stand ganz im Zeichen der sowjetischen Tauwetter-Periode (russisch хрущёвская оттепель chruschtschewskaja ottepel [xruˈʃʲʃʲɔˑfskəjə ˈɔˑtʲtʲɪpʲɪlʲ], deutsch ‚Chruschtschow’sches Tauwetter‘). 1954 war der Roman Tauwetter von Ilja Ehrenburg erschienen, 1956 hielt Nikita Sergejewitsch Chruschtschow seine folgenreiche Geheimrede Über den Personenkult und seine Folgen auf dem XX. Parteitag der KPdSU (vom 14. Februar bis zum 25. Februar 1956 in Moskau). Dieser erste nationale Parteitag nach dem Tod von Stalin wurde damit zu einem Wendepunkt in der Geschichte der Sowjetunion und auch der sowjetisch besetzten Länder wie die DDR.
1963 entstanden die Sputniks aus den Telestars und den Magdeburger Big Town Boys und entwickelten sich sehr schnell zu einer der führenden Bands der DDR-Beatbewegung. Die Bandpremiere fand im Twistkeller (Kreiskulturhaus Bezirk Treptow) statt, wo das Plattenlabel Amiga auf die Band mit dem handgemachten Gitarrensound aufmerksam werden konnte (sog. Ost-Berlin-Bonus). Amiga schnitt eines der Bandkonzerte im Twistkeller mit und veröffentlichte das Material auf der Single "Gitarren-Twist". Die Umbenennung der Band war eine Bedingung von Amiga. Die Sputniks spielten damals vorwiegend gängige Westtitel und zunehmend auch eigene Kompositionen, meist Instrumentalstücke, die später auf weiteren Singles und den Samplern (Split-LPs) "Big Beat I" und "Big Beat II" erschienen. Die Namensänderung und der Verzicht auf englische Texte in den Eigenkompositionen waren Zugeständnisse an die DDR-Behörden, die der Beatbewegung anfangs noch aufgeschlossen gegenüberstanden. Als die Shadows des Ostens erlangte die Band mit ihrem Gitarrensound große Popularität. Die Jahre vor der Beatlemania wurden als Shadow-Ära bezeichnet. Der "Twistkeller", in dem auch die Sputniks ihre Heimstatt gefunden hatten, war 1962 als FDJ-Jugendklub im Kreiskulturhaus in der Treptower Puschkinallee eröffnet worden. Dieser war der bekannteste Beattreff Ost-Berlins und entwickelte sich sehr bald zu einer Musikantenschmiede. Hier siedelte sich auch noch im gleichen Jahr eine Diskothek an.
Zur Beat-Szene in Ostberlin stieß auch das bereits 1959 gegründete "Franke Echo Quintett". Bandgründer Dieter Franke galt bald als "Meister" der Bewegung und war Vorbild für viele seiner jungen Musikerkollegen. Voraussetzung für die Anerkennung bei dem vorwiegend jungen Publikum war die erreichte Perfektion beim Nacheifern ihrer Idole. 1964 erhielt das Franke Echo Quintett als eine der ersten Beatbands die Möglichkeit, im DDR-Fernsehen aufzutreten. Auf dem Höhepunkt der Beatlemania in der DDR, im Oktober 1964, produzierte das DDR-Label Amiga den Sampler "Big Beat I", die erste Beat-LP der DDR. Auf der im Februar 1965 veröffentlichten Platte sind sieben Instrumentalaufnahmen des Franke Echo Quintetts zu hören. Auf der im gleichen Jahr veröffentlichten LP "Big Beat II" präsentierte die Band vier Eigenkompositionen. Das Franke Echo Quintett trat auch als Begleitband von Manfred Krug auf.
1963 wurde auch das "Diana Show Quartett" von Achim Mentzel (Melodiegitarre, Gesang) und Dieter Hesse (Schlagzeug) in Ost-Berlin gegründet. In der Urband, die sich anfangs noch "Dieter Hesse Quartett" nannte, spielten außerdem Jörg Schenkel (Rhythmusgitarre) und Dieter Schwarz (Bassgitarre, Klavier, Gesang). Beide befanden sich in der Ausbildung zu Rundfunk- und Fernsehmechaniker und waren deshalb für die junge Band unentbehrlich. 1964 musste der Gitarrist Jörg Schenkel zur Armee. Er wurde von Alfred Ansin ersetzt. Als Anfang 1965 der Bassist Jörg Speiche Schütze in die Band kam, der wenig später, während eines Auftrittes, wegen einer geplanten Flucht aus der DDR verhaftet worden war, hieß die Band für kurze Zeit Diana Show Quintett. Das Diana Show Quartett bevorzugte die härtere Gangart der Rolling Stones. Die anfänglich eher biedere Bühnenshow wich recht bald einer explosiven Show mit fast akrobatischen Einlagen. Dem Diana Show Quartett eilte der Ruf voraus, die verrückteste Band zu sein. Der Name der Band war Programm. Die Göttin der Jagd sollte Verwegenheit und Wildheit zum Ausdruck bringen. Das Domizil der Band befand sich im Jugendclub „Freundschaft“ in Berlin-Friedrichshain. Im Verlauf des Jahres 1966 wurden einige der Musiker gezielt zum Wehrdienst in der NVA eingezogen. Dies bedeutete das Ende der Band.
Die Beatles, die bereits den ganzen Westen infiziert hatten, elektrisierten nicht nur die Jugendlichen, sondern auch viele Musiker in der DDR, die versuchten, ihre Musik zu kopieren. Bereits 1958 hatte Klaus Renft in Leipzig die Klaus Renft Combo gegründet, aus der 1962 wegen Verbots die Band Butlers entstand. The Butlers war den Behörden zu amerikanisch. Die Butlers kopierten die Beatles und wurden im Mai 1964 mit einer "Urkunde für hervorragende Leistungen bei der Vorbereitung und Durchführung des Deutschlandtreffens der Jugend in der Hauptstadt der DDR, Berlin" ausgezeichnet und noch Anfang 1965 erhielten sie von der FDJ-Kreisleitung Leipzig bei einem Bestenausscheid das Prädikat "sehr gut" verliehen. Die Butlers sorgten verlässlich für proppenvolle Säle. Anfangs waren sie konkurrenzlos. Wo immer sie auftraten, drehten die Fans durch. Eine Ost-Band, die den Beat aus dem Westen spielte, das gab es bis dahin nicht. Als der Butlers-Leadgitarrist Joachim Richter zu einem Konzert in Merseburg seine damalige Freundin mitbrachte, brachen die Groupies reihenweise in Tränen aus. Ein Mädchen sprang damals vor Gram sogar in die Saale und wollte sich damit umbringen. Die Combo wurde ins Fernsehen eingeladen, spielte zur Messe auf, wurde vom Parteiorgan "Neues Deutschland" hymnisch gefeiert. Auf Wunsch der Butlers fertigte der VEB Gitarrenbau "Musima" eigens für die Band rote Gitarren an. Die Musiker durften ihre Songs für die Amiga-Compilation "Big Beat" aufnehmen - darunter auch den legendären Instrumental-Hit "Butlers Boogie". Zu Pfingsten 1964 durfte die Band gar auf dem FDJ-Spektakel "Deutschlandtreffen der Jugend" in Ostberlin auftreten. Erst bespitzelte die Stasi die Butlers, dann mussten sie die weisungsgemäß plötzlich lieb haben. Doch die Tauwetterperiode währte nur kurz: Ab dem Spätsommer 1965 setzten sich die Hardliner innerhalb der SED durch - und wandten sich gegen den Ost-Beat. Die Ereignisse um das Stones-Konzert auf der Waldbühne boten einen willkommenen Anlaß, die Jugendmusikszene platt zu machen. Das Verbot der Butlers im Oktober 1965 löste die Leipziger Beatdemo aus.
Die Auftritte dieser Bands, deren Repertoire vorwiegend aus nachgespielten Titeln internationaler Stars bestand, bewirkte eine kulturelle Revolution im Alltag der Jugendlichen. Im Verlauf der Zeit spezialisierten sich die jungen Bands beim Kopieren ihrer westlichen Idole.
Alle DDR-Bands und Diskotheken hatten mit einer ungenügenden Ausrüstung zu kämpfen. Mit dem im DDR-Handel erhältlichen Musikinstrumenten war der spezielle Sound nicht erreichbar und den Verstärkeranlagen mangelte es an Lautstärke, Klangvolumen und -variabilität. Instrumente und Geräte aus dem Westen wurden nach dem Bau der Berliner Mauer zu hohen Preisen gehandelt und waren für die jungen Musiker und Schallplattenunterhalter unerschwinglich. Erfindergeist und Improvisationstalent waren gefragt. Für gelernte Elektromechaniker bestanden dadurch im Bereich Diskothek große Entwicklungsmöglichkeiten. In dieser Zeit wurde sehr viel Technik im Eigenbau produziert.
[Bearbeiten] "Goldenes Zeitalter" für Schallplattenunterhalter
Für Schallplattenunterhalter brach 1963 ein "Goldenes Zeitalter" an.
In der Rock ’n’ Roll-Zeit, aber auch beim Twist, beim Boogie-Woogie, in der "Shadow-Ära" und besonders bei der Beatlemania, die voll durch den Eisernen Vorhang schwappte, wuchsen Diskotheken wie Pilze aus dem Boden. Jede Kreisleitung der FDJ kreierte mindestens eine Diskothek, meist entstanden gleich zwei oder drei im Kreisgebiet. Die DDR war in 191 Landkreise, 27 Stadtkreise und (völkerrechtswidrig) "Berlin, Hauptstadt der DDR" unterteilt. Allein in Ostberlin gab es zum Zeitpunkt des Verbotes "dekadenter westlicher Musik" Ende 1965 neben etwa 300 Gitarrenbands auch noch etwa 400 Diskotheken, auf die übrigen 218 Kreise verteilten sich etwa 1300 Diskotheken - insbesondere in den Stadtkreisen. In Leipzig gab es rund 70, in Dresden rund 30 Diskotheken. Hierbei ist aber auch die damalige Ausstattung der frühen Diskotheken zu beachten. Da die DDR zu diesem Zeitpunkt technisch vom Westen abgeschnitten war, gab es keine Großdiskotheken wie in späterer Zeit. In der Regel tanzten nur wenige Dutzend Jugendliche pro Veranstaltung. Disko-Veranstaltungen mit 100 oder mehr Personen waren damals die absolute Ausnahme.
Besonders "golden" im Vergleich zu anderen Zeiten bis 1989 war die Situation auf dem Schallplattenmarkt in der DDR. Amiga produzierte nicht nur mit den Beat-Samplern und anderen Beat-, Rock- und Rock ’n’ Roll-Platten ostdeutscher Provinienz quasi direkte Spiegelungen der westlichen Hits, sondern veröffentlichte diese beliebten Hits auch noch im Original.
Selbst die Beatles erschienen bei Amiga. Die Veröffentlichungen wurden möglich, weil die politische Führung der DDR der Meinung war, dass die Beatles ideologisch zur DDR passen würden. Das Jugendmagazin der DDR Neues Leben schrieb, dass
- "die vier Arbeiterjungen aus Liverpool mit ihrer Musik gegen den Kapitalismus protestieren."
1964 hieß es in einem wohlwollenden Artikel der DDR-Zeitschrift "Das Magazin":
- "Die Beatles sind eine Gruppe von volkstümlichen Sängern im Alter von zwanzig bis vierundzwanzig Jahren, die elektrische Gitarren und Trommeln spielen und ihre 'Beat'-Musik mit fröhlicher Ausdauer rhythmisch auf- und niedertwistend in einen mechanischen Verstärker schleudern. Der überschäumende, ungebändigte, jugendliche Frohsinn bei ihrem Tun geht ins Publikum, fängt und steckt Jung und Alt an".
In der DDR wurden zwischen Februar und April 1965 folgende drei Beatles-Singles veröffentlicht:
- Ain’t She Sweet / Cry for a Shadow im Feb. 1965, AMIGA 450466
- Sweet Georgia Brown / Why im März 1965, AMIGA 450471
- It Won’t Be Long / Devil in Her Heart im Apr. 1965, AMIGA 450493
Die Lizenzen wurden bei den ersten beiden Singles von Polydor und bei der dritten Single von Parlophone/EMI erworben. Es waren die ersten Singles der Beatles, die im Ostblock erschienen.
Im April 1965 folgte ein Album mit dem Titel The Beatles, das sechs Lieder vom Album Please Please Me, drei Lieder vom Album With the Beatles, eins vom Album A Hard Day’s Night und zwei Single-A-Seiten enthält. Es wurde ausschließlich in einer Monoversion (Katalognummer: Amiga 850 040) vertrieben. Es war wie die aufgeführten Singles das erste Album der Beatles, das im Ostblock erschien.
In der DDR wurden im Jahr 1965 sogar noch Weißmustersingles (Testpressungen) von drei weiteren Singles gepresst, die Lieder befinden sich auf dem Album The Beatles. Zu einer Veröffentlichung kam es aber nicht mehr.
Die Schallplatten waren wegen des insgesamt geringen Angebots an westlicher Musik und den üblicherweise niedrigen Auflagen meist schnell vergriffen. Es gab eine vertragliche Vereinbarung von 10.000 Exemplaren pro Lizenzpressung. Zumeist wurden keine Einzelalben lizenziert, sondern eine Zusammenstellung von Titeln aus mehreren Alben der Interpreten. Zu den ersten Lizenz-Platten zählten in den 1960er Jahren neben Schallplatten der Beatles auch die von Bob Dylan.
Tatsächlich war die Zahl der gepressten Amiga-Lizenzplatten erheblich höher. Von den Amiga-Beatles-Platten der 1960er (Singles und LP) wurden nach einer Marktanalyse in den 1990er Jahren weit über 100.000 Stück gepresst.
- "Die genauen Stückzahlen der einzelnen Veröffentlichungen sind bis heute unbekannt. Wohl deshalb, weil die emsigen Plattenproduzenten weit mehr Exemplare pressten, als sie vertraglich durften. Denn Schallplatten – gerade lizensierte Westmusik – brachten viel Geld. "[6]
In den Jahren nach 1965 wurden Amiga-Platten zunächst weisungsgemäß wieder künstlich verknappt, wie die Bob-Dylan-LP von 1967 - um die Verbreitung der "Westmusik" nicht noch weiter zu unterstützen. In sehr gutem Zustand wird diese LP heute deswegen mit an die 1000 Euro gehandelt. Die LP erschien beim Versandhaus Leipzig (Centrum-Versandhandel) der staatlichen Handelsorganisation (HO) auf deren Phono-Label, aber mit dem AMIGA-Labelcode und wurde nur an die Kunden (= Mitglieder) des Versandhauses Leipzig abgegeben und danach nie wieder neu aufgelegt. Die Singles von Bob Dylan von 1963 bis 1965 sind hingegen Massenware (keine Single von Warner Bros. Records hat sich je so schnell verkauft wie Blowin’ in the Wind in der Coverversion der Kunstband Peter, Paul and Mary von 1963, dem Erscheinungsjahr des Welt-Hits auf Platz 14 der der 500 besten Songs aller Zeiten der Zeitschrift Rolling Stone).
Der zweite Universalversender der DDR, das "konsument Versandhaus" (bis 1965 "Konsum-Versandhandel") in der "Neuen Kauffahrtei" Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) verfügte als Versandhandel der nichtstaatlichen Konsum-Genossenschaften nicht über das Privileg eines Phono-Labels. 1976 wurde jeglicher Versandhandel eingestellt, weil die durch die Kataloge geweckten Bedürfnisse der Bevölkerung oftmals nicht erfüllt werden konnten. Den steigenden Bestellungen waren die Zulieferbetriebe und das Versandhaus mit den damals vorhandenen Produktions-, Liefer- und Lagerkapazitäten nicht mehr gewachsen.[7] Die offizielle Begründung lautete hingegen, dass die Versorgung der Landbevölkerung mit stationären Verkaufsstellen gesichert und ein Versandhandel nicht länger notwendig sei. Die wirtschaftliche Talfahrt der DDR wurde unübersehbar und nahm nach dem Oktober 1981 richtig Fahrt auf, als die Sowjetunion für ihre (Energie)Ausfuhren Devisen statt Transferrubel verlangte. Lediglich die beiden politisch umstrittenen Milliardenkredite über Franz Josef Strauß in den Jahren 1983 und 1984 verschafften der DDR noch ein paar Jahre Luft bis zur völligen Auflösung.
Die DDR öffnete sich nun auch amerikanischen Interpreten. So gastierte das 1962 im Kurhaus Baden-Baden gegründete American Folk Blues Festival 1964 auch in Ostberlin (in Westberlin tourte das Festival im Berliner Sportpalast). Dadurch kamen Künstler wie Sonny Boy Williamson, Sunnyland Slim, Hubert Sumlin, Howlin’ Wolf, Lightnin’ Hopkins, der Bluesharpspieler Hammie Nixon, die Blues- und Soul-Sängerin Sugar Pie DeSanto, der Schlagzeuger Clifton James und der Country-Blues-Gitarrist John Henry Barbee in die DDR. Dieses Festival kam 1965 nicht nochmals nach Ostberlin, und danach war es aus kulturpolitischen nicht mehr möglich, in der DDR zu gastieren.
Am 10. März 1965 trat der US-amerikanische Jazz-Musiker Leo Wright in Dresden auf. Amiga produzierte bei dieser Gelegenheit gleich zwei Schallplatten:
- "Modern Jazz Studio Number 4" (1965 [neu aufgelegt 1970]) und
- "Flute + Alto – Sax" (1965 [neu aufgelegt 1967])
Ebenfalls im März 1965 fand Louis-Armstrong-Tournee durch die DDR statt. Das Management von Louis Armstrong bot den realsozialistischen Ländern 1965 für seine Europa-Tournee Auftritte an. Das wurde vom US State Department (Außenministerium) maßgeblich unterstützt, da es Armstrong als prominenten Kulturbotschafter der westlichen Welt ansah. So kamen allein in der DDR 17 Konzerten in Ostberlin, Leipzig, Magdeburg, Erfurt und Schwerin zustande. Im Ostberliner Friedrichstadt-Palast wurde Louis Armstrong von der US-amerikanischen Jazz-Sängerin Ella Fitzgerald begleitet. Bei den vier ausverkauften Konzerten in der Alten Messe Leipzig vor jeweils 3000 begeisterten Zuhörern aktivierte das Ministerium für Staatssicherheit sein gesamtes Netz an inoffiziellen Mitarbeitern, weil man Ausschreitungen von jugendlichen Konzertbesuchern befürchtete.[8] Louis Armstrong war der erste US-amerikanische Showstar, der in der DDR gastierte. Die ostdeutsche Künstleragentur hatte den Musiker aus den USA als "Kämpfer gegen Rassismus" eingeladen. Seine Gage übernahm ein umtriebiger Geschäftsmann aus der Schweiz. Im Gegenzug öffnete sich für ihn ein Depot im Elbsandsteingebirge, aus dem er Jagdwaffen aus dem 30-jährigen Krieg und andere Antiquitäten erwerben konnte. Schließlich litt die DDR an chronischem Devisenmangel.[9]
Schon Ende des gleichen Jahres 1965 waren Blues und Jazz für die DDR-Oberen plötzlich wieder die "Affenkultur des Imperialismus" - ein typisches Beispiel der "geraden Linie der Partei" (SED).
[Bearbeiten] ZK-Beschluss vom 11. Oktober 1965: Verbot der "dekadenten westlichen Musik"
[Bearbeiten] Aufhänger: das Stones-Konzert in der Westberliner Waldbühne
Am 15. September 1965 traten die Rolling Stones zum Abschlußkonzert ihrer ersten Deutschlandtournee vor 22.000 Fans auf der Waldbühne in Westberlin auf. Es war die mit Abstand gigantischste Musikveranstaltung bis dahin in Deutschland. Bands von der Größe der Beatles oder der Stones kamen damals sonst nicht nach Deutschland, sondern Konzerte fanden in der Regel in Clubs vor 100 bis 200 Leuten statt. Stones-Gitarrist Brian Jones hatte schon 1964 in bester Rockstar-Manier festgestellt: "Andere Bands geben Konzerte. Wir geraten in Tumulte." Doch seit bei einem Auftritt in Manchester die Stühle geflogen waren, Mick Jagger am Auge verletzt wurde und Keith Richards bewusstlos von der Bühne getragen werden musste, wurden sie vorsichtiger. Nach nur 20 bis 25 Minuten verließen Mick Jagger und seine Band eiligst die Bühne, stiegen in einen Mercedes und wurden in ihr Luxushotel gefahren. Unterdessen warteten vor der Bühne 22.000 Jugendliche auf eine Zugabe. Es wurde gejohlt und geklatscht. Nach 20 Minuten hatte sich das Publikum immer noch nicht beruhigt. Um dem ein Ende zu bereiten, machten die Veranstalter dummerweise auch noch das Licht aus. Für zehn, fünfzehn Minuten war es stockfinster gewesen - und die positive Stimmung kippte natürlich um. Während die Leute oben eher wegen der plötzlichen Dunkelheit in Panik gerieten und versuchten, rauszukommen, tobte vor der Bühne plötzlich ein Hexenkessel, der richtig Randale machte. Die Wasserhydranten wurde aus der Erde gerissen und die Holzbänke demoliert. Dann fing die Polizei an, mit Wasserschläuchen in die Menge zu spritzen. Vier, fünf Stunden hatte die Schlacht getobt, auch rund um die Waldbühne auf den Straßen. Danach wurden die S-Bahnen demoliert, mit denen die Musikfans nach Hause fuhren. Die S-Bahn hatte ohnehin einen schlechten Ruf, weil sie von der DDR betrieben wurde. Jeder, der damit fuhr, hatte den Stacheldraht bezahlt, mit dem die Grenzanlagen gesichert waren. Am Ende des Abends hatte es laut einem Bericht der "Berliner Zeitung" 87 Verletzte gegeben, darunter 26 der 369 Polizisten, die an diesem Abend im Einsatz waren. Zudem wurden 17 S-Bahn-Waggons demoliert und die Waldbühne so stark verwüstet, dass sie auf Jahre nicht mehr genutzt werden konnte. Insgesamt, schrieb das "Hamburger Abendblatt" 1969, sei an diesem Abend ein Schaden von rund 300.000 Mark entstanden. Es gab nicht nur verbogene Absperrungen und demolierte Bänke, sondern sogar umgestürzte Laternenmasten.
Auch die DDR berichtete natürlich und reagierte verstörend auf den Vorfall. So hetzte das "Neue Deutschland", das Zentralorgan der SED:
- "Die fachmännisch inszenierte Massenhysterie dient niemals der Jugend, sondern der Kriegsvorbereitung. Die Schlacht in der Waldbühne soll auf lebensgefährliche Schlachten vorbereiten. Vernebelte Köpfe und nackte Gewalt waren schon immer die besten Bundesgenossen derer, die Deutschlands Jugend in zwei Weltkriege trieben."
[Bearbeiten] "Dieses Je-Je-Je": Massenhafter Lizenzentzug für den Bereich der Tanzmusik
Mit dem Stones-Konzert in Westberlin war die Duldung der Beat-und Rockmusik durch die DDR schlagartig vorbei. Die DDR-Führung in Ostberlin hatte auf einen solchen Anlaß regelrecht gewartet, denn bereits im Jahr davor (1964) wurde Chrustschow in der Sowjetunion entmachtet, womit dort die Tauwetter-Periode zu Ende ging.
Ein ZK-Beschluss vom 11. Oktober 1965 sah vor, "daß solchen 'Laienmusikgruppen, deren Darbietung aus dekadenter westlicher Musik besteht, die Lizenz entzogen wird".
Zehn Tage später kam per Post das unbefristete Spielverbot für die Butlers, eine Leipziger Band, welche die Beatles kopierte (was hinter Mauer und Stacheldraht keine rechtlichen Konsequenzen hatte). Die 1958 gegründete Gruppe war 1962 schon einmal verboten worden - unter dem Namen "Klaus-Renft-Combo". Zur Begründung hieß es: "Das Auftreten Ihrer Kapelle steht im Widerspruch zu unseren moralischen und ethischen Prinzipien." Ebenso erging es den meisten anderen Beat- und Rock-Bands.
Viele Musiker sahen sich mit einer Hetzkampagne konfrontiert, welche im Vorwurf der Steuerhinterziehung gipfelte. 10.000 Ostmark sollten allein die Butlers unterschlagen haben - damals mehr als zwei Jahresgehälter. Der Butlers-Schlagzeuger Hans-Dieter Schmidt wurde kurzfristig als Reservist zur NVA eingezogen und saß bereits am 31. Oktober 1965, dem Tag der Leipziger Beatdemo, in der Kaserne. Klaus Renft schaute kurz vorbei, verschwand aber gleich wieder, um nicht sofort als "Rädelsführer" verhaftet zu werden. Es hatten sich etwa 2000 bis 2500 vor allem jugendliche Personen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz vor dem Neuen Rathaus versammelt, unter ihnen ein Kern von etwa 800 "echten" Beatanhängern und viele Funktionäre und Sicherheitskräfte in Zivilkleidung. Mit einem massiven Polizeiaufgebot, unter Einsatz von Gummiknüppeln, Hunden und einem Wasserwerfer, wurde die Demonstration aufgelöst.
Allem Protest zum Trotz: Am Ende zogen die Musiker der verbotenen Bands den Kürzeren. Sie mussten neue Combos gründen oder aufs Land gehen: dorthin, wo die Kontrollen laxer waren. Klaus Renft kam als heimlicher Bandleader bei einer Gruppe mit dem harmlosen Namen "Ulf Willi Quintett" unter, der Schlagzeuger Schmidt wechselte nach dem dreimonatigen Reservedienst bei der NVA zu den in Bitterfeld registrierten "Jokers". Von den 58 registrierten Leipziger Bands waren 54 verboten worden. Hier ging die Staatsmacht besonders regide gegen die "dekadente westliche Musik" vor.
Von den laut SED-Rapport 267 Verhafteten (sie wurden mit Gummiknüppeln auf die bereitstehenden Lastwagen geprügelt) der Beatdemo wurden 164 strafrechtlich verfolgt. "Die vollständige Auflösung der Konzentration war nach 20 Minuten vollzogen", hieß es später im Stasi-Bericht. 97 von ihnen mussten mehrere Wochen lang im Braunkohlenkombinat Regis-Breitingen schuften. Die drei Flugblatthersteller für die Beatdemo flogen auf, weil eine ihrer Mütter, eine stramme Parteigenossin, den Stempelkasten gefunden und ihre Kinder verpfiffen hatte.
Doch die Fans gaben sich nicht geschlagen: "Freiheit für den Beat", "Nieder mit dem Polizeiterror" und "Prügelhunde weg, pfui, Beat-Klubs her!", lauteten die Parolen, die junge Leipziger nach der Demo nachts heimlich an Hauswände, Schaufenster und Parkbänke der Messestadt pinselten.
Die DDR führte nach diesem Ereignis den Begriff des Rowdytums als Straftatbestand ein und reagierte auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 mit einer radikalen Wende in der Kultur- und Jugendpolitik. Fast alle der 300 Gitarrenbands in Ostberlin wurden zwangsweise aufgelöst.
[Bearbeiten] Die Beatles ein "Dreck": Verbot der meisten Diskotheken
Entsprechend hart war auch das Vorgehen gegen die damals noch relativ dünn gesäten rund 1700 Diskotheken zu dieser Zeit, welche natürlich fast alle vor allem die beim Publikum sehr beliebte Beat- und Rock-Musik spielten. SPUs bekamen reihenweise die Lizenzen entzogen oder wurden praktischerweise zum 1. November 1965 zur NVA eingezogen resp. zur Reserve (die NVA zog zweimal im Jahr ein, am 1. Mai und am 1. November). Darüber hinaus gab es etliche Verhaftungen von SPUs, die den Lizenzentzug mit illegalen Diskotheken umgingen.
Auf der Amiga-Beatles-LP von 1965 befand sich auch der Hit She Loves You. Bereits im Dezember des Jahres der Veröffentlichung (auf dem 11. Plenum des ZK der SED vom 16. Dezember–18. Dezember 1965) äußerte sich Walter Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrats der DDR, unmißverständlich gegen diesen Titel als Paradebeispiel "westlicher dekadenter Musik":
- "Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen."
Im April 1965 noch gepreßt, im Dezember 1965 bereits verteufelt - so bewies die SED mal wieder die "gerade Linie der Partei".
Bis auf wenige, handverlesene, staatstreue und stasikontrollierte SPUs wurden alle anderen mit einem Entzug der Lizenz belegt. Die Behörden wurden angewiesen, "in aller Härte gegen solche Auswüchse während und nach Tanzveranstaltungen (...) sowie überhaupt gegen diese 'Hottentottenmusik' vorzugehen." Die DDR eröffnete einen "Kulturkampf" gegen die eigene Bevölkerung.
[Bearbeiten] 1965 bis 1972: Die "Hottentottenmusik" auf Null gebracht
Nach dem "Hottentottenmusik"-Erlaß von 1965 wurden alle Diskotheken, welche die "dekadente westliche Musik" gespielt hatten, spielten oder verdächtig waren, sie spielen zu können, ausgemerzt.
Walter Ulbricht war persönlich gegenüber dieser "dekadenten westlichen Musik" voreingenommen. Seine Meinung war Gesetz. Von einem Stadtmodell zum Aufbau Dresdens entfernte er zu dieser Zeit (1961) persönlich die Sophienkirche, deren rekonstruktionsfähigen Reste zumindest in der mittelalterlichen Form hätten wieder aufgebaut werden können. In der Folge wurde die Sophienkirche als letzter und kulturhistorisch bedeutender mitelalterlicher Bau Dresdens vollständig beseitigt und statt dessen der Fresswürfel (HO-Gaststätte „Am Zwinger“ errichtet. 1968 wurde in Leipzig, der Heimatstadt Ulbrichts, auf Betreiben des Politbüros der SED unter Walter Ulbricht sogar die intakte Paulinerkirche (auch Universitätskirche) abgerissen. In der ganzen DDR fielen vor allem sakrale Bauwerke einer "Kulturrevolution" zum Opfer.
Von den etwa 1.700 Diskotheken des Jahres 1965, die durch Rockn'-Roll, Boogie, Twist, Shadow-Ära und schließlich Beatlemania wie Pilze aus dem Boden schossen, waren durch diese "Kulturrevolution" 1970 nur noch etwa 10 (in Worten: zehn) linientreue Diskotheken offiziell übrig:
- "Diese anfänglich klubinternen Veranstaltungen des Singeklubs wurden bald in der Öffentlichkeit bekannt, vor den Proberäumen der Singeklubs standen die jungen Leute aus den Wohngebieten ... Schlange. Gab es 1970 kaum mehr als zehn ... waren zwei Jahre später schon über tausend Diskoteams unterwegs."[10]
[Bearbeiten] Anfang 1967: Kampagne gegen "Tendenzen der Amerikanisierung auf dem Gebiet der Kultur"
Anfang 1967 folgte auch noch eine Kampagne gegen "Tendenzen der Amerikanisierung auf dem Gebiet der Kultur".
[Bearbeiten] 1968: erste Freiluftdiskothek beim Oktoberklub
Während unliebsame Diskotheken en masse geschlossen wurden, förderte die DDR die wenigen karriereorientierten Diskotheken, welche die schwankende Linie der Partei immer in einer besoffenen Schlangenlinie "linientreu" mit vollzogen.
So durfte im Jahr 1968 der Oktoberklub sogar die erste Freiluftdiskothek der DDR veranstalten - natürlich erst, nachdem er seinen Gründungsnamen Hootenanny-Klub abgelegt hatte.
Die Hootenanny-Bewegung wurde 1970 offiziell zur "FDJ-Singebewegung" und danach als „Modellfall“ sozialistischer Kulturpolitik sowohl gefördert als auch vereinnahmt. Dem Beispiel des Oktoberklubs folgend, entstanden viele Singeklubs im Lande (zeitweise waren es bis zu viertausend).
Die Mitglieder des Oktoberklubs waren "hundertprozentig rot, überzeugt, ehrlich" (so der damalige Leiter Reinhold Andert), wollten die Jugendlichen in der DDR für den Sozialismus mobilisieren und ihn aktiv mitgestalten. Der Klub trat bei vielen politischen Aktionen und Veranstaltungen der FDJ auf (z. B. Jugendfestivals, Solidaritätskonzerte und Werkstattwochen der Singeklubs). Mit der Verbindung von Politik und Unterhaltung brachte er neue Elemente in die erstarrte politische Kultur der DDR, büßte jedoch auch an Spontaneität ein, folgte der offiziellen politischen Propaganda und beteiligte sich an fragwürdigen Aktionen (z. B. Auftritt zur Unterstützung des Einmarsches in die ČSSR 1968). Darüber gab es im Klub immer wieder Auseinandersetzungen, und einige Mitglieder wie Bettina Wegner und Sanda Weigl verließen ihn deshalb wegen politischer Differenzen.
Bettina Wegner war 1966 Mitgründerin des Hootenanny-Klubs. Da das ursprüngliche Prinzip, jeder könne unzensiert auf der Bühne seine Texte und Lieder bringen, aufgegeben wurde, verließ sie die Gruppe jedoch, als der Hootenanny-Klub in Oktoberklub umbenannt und der FDJ unterstellt wurde. Nachdem sie 1968 in Zusammenhang mit dem Prager Frühling Flugblätter gegen die Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei mit Schlagworten wie "Es lebe das rote Prag!" oder "Hoch Dubcek!" geschrieben und verteilt hatte, wurde sie exmatrikuliert, verhaftet und wegen "staatsfeindlicher Hetze" zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung verurteilt. Sie mußte die Untersuchungshaft antreten, als sie gerade ihr erstes Kind geboren hatte. Danach wurde sie zur Bewährung in der Produktion verpflichtet. Nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens "wegen Verdachts auf Zoll- und Devisenvergehen" sah sich Bettina Wegner 1983 als DDR-Bürgerin vor die Wahl gestellt, ins Gefängnis zu gehen oder ausgebürgert zu werden. Daraufhin verließ sie die DDR in Richtung West-Berlin.
Sanda Weigl hatte ebenfalls Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die ČSSR verteilt und wurde deswegen wegen "staatsfeindlicher Hetze" zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Ihrer vorzeitigen Entlassung folgte ein mehrjähriges Auftrittsverbot und die einjährige Tätigkeit am Fließband in einer Medikamentenfabrik. Schließlich stellte sie einen Ausreiseantrag und durfte nach West-Berlin übersiedeln.
Im Schlepptau dieser gleichgeschalteten viertausend FDJ-Singeklubs entstanden auch tausende FDJ-Jugendklubs und Diskotheken.
[Bearbeiten] 6. März 1970: erste Diskothek "neuen Typus" im Oktoberklub Klub (OKK)
Am 6. März 1970 wurde der OKK (Oktoberklub Klub) – eigentlich Singekeller – im "Klub International" (im Berliner "Kino International") gegründet. Der OKK war ein ehemaliger Heizungskeller, umgebaut als Veranstaltungsraum für 150 Besucher. Es gab eine kleine Galerie, einen Tresen, mehrere Sitzecken und den kleinen Saal.
Laut sozialistischer Geschichtsschreibung gilt dieser Klub als die erste DDR-Diskothek. Tatsächlich war sie nichts weiter als die erste sozialistische Diskothek in der DDR - oder wie manche witzelten: "die erste Diskothek neuen Typus", nach der "Partei neuen Typus".
[Bearbeiten] 1972: Tausend "sozialistische Diskotheken"
1972 gab es bereits 1000 Diskotheken, Ende der 1970er Jahre zwischen 5000 und 6000. Die "sozialistische Diskothek" (auch "Gestaltete Diskothek" genannt) wurde massiv vom Staat gefördert, so auch mit den "Maßnahmen zur Durchführung von Jugendveranstaltungen im Gaststättenwesen" von 1971.[11]
Mitte März 1980 (um Samstag, den 15.) fand dann die erste Zentralaktivtagung der Jugendklubs der FDJ in Jena statt.
Während außerhalb dieser FDJ-Jugendklubs die Diskothekenlandschaft der DDR marginalisiert wurden war, verbreitete sich in den FDJ-Jugendklubs inoffiziell die "Hottentottenmusik" wieder massiv.
Geschützt durch staatliche Privilegien und Garantien konnte es sich die ansonsten "linientreue" FDJ-Gefolgschaft erlauben, die modernste "dekadente westliche Musik" ohne Konsequenzen aufzulegen.
Dieser Feudalsozialismus frönte das alte Motto vom "Wasser predigen und Wein Saufen" und war deswegen für eine Reihe Jugendlicher anziehend, welche dem Motte "Wein, Weib und Gesang" frönten. Die FDJ-Festivals der Zeit standen unter dem Motto: "Sie fuhren hin mit bunten Wimpeln - und kehrten heim mit wunden Pimpeln."
Außerhalb dieser sozialistischen Filterblase war es geradezu sozialer Selbstmord, sich der Gleichschaltung zu widersetzen - und endete nicht selten in Ausbürgerung ohne die Chance einer Wiederkehr bis zum Fall der Mauer 1989.
[Bearbeiten] 1973: Anordnung über Diskothekveranstaltungen
Nach einer teilweise experimentellen Phase, in der 1972 auch der Begriff "Diskjockei" [12] kurz Anwendung fand, wurde 1973 die Tätigkeit des SPU mit der "Anordnung über Diskothekveranstaltungen" strengstens geregelt. So wurde natürlich das Abspielen von 60 Prozent Musik aus der DDR und dem Ostblock Pflicht (wie seit 1958 in der Unterhaltungs- und Tanzmusik üblich), außerdem gab es Schwarze Listen verbotener Titel wie von den Beatles ("She loves you", den Walter Ulbricht als "Dreck" bezeichnete und mit dessen Monotonie des "Yeah, Yeah, Yeah" Schluss gemacht werden sollte[13]) oder den Rolling Stones ("Satisfaction") und anderen westlichen Idolen der Jugend (später die frühen Titel von AC/DC wie TNT und Highway to hell oder Kiss mit I Was Made for Lovin’ You, wobei sich die DDR besonders an der Schreibweise der beiden "s" störte). Diese Schwarzen Listen waren nicht offiziell zugänglich und manchmal nur im Black-Box-Verfahren erfahrbar, wenn der SPU einen Verweis und in der Folge einen strengen Verweis erhielt. Danach konnte ihm die Spielerlaubnis entzogen werden, in besonders schweren Fällen sogar die Fahrerlaubnis (= Führerschein), wenn er nicht sogar gleich verhaftet wurde. In jeder Diskothek waren mindestens zwei Stasi-Spitzel anwesend, die unabhängig voneinander berichteten und sich nicht kannten. Außerdem unternahm die Stasi besondere Anstrengungen, SPUs als Informanten (IMs) zu gewinnen und brachte sogar eigene Leute als Ofizier im besonderen Einsatz (OibE) an besonders exponierter Stelle im Profi-Bereich (Klasse S) der SPUs unter. Darüber hinaus galten für die Diskotheken besondere Bekleidungsvorschriften und Einlaßbedingungen. Politisch unzuverlässige "Elemente" waren von den Diskotheken, meist als FDJ-Veranstaltungen in (Bezirks-, Kreis-) Jugendklubhäusern der FDJ organisiert, durch den FDJ-Ordnungsdienst von vornherein ausgeschlossen und sammelten sich auch deswegen in Subkulturen.
All diese Regelungen galten für die Veranstaltungen der Kreis- und Bezirksleitungen der FDJ nicht, und erst recht nicht für zentrale Veranstaltungen wie die Zentralaktivtagungen der FDJ-Jugendklubs oder zentrale Jugendfestivals - trotz der Blauhemden, die dort in der Regel getragen werden mußten. Hier wurde sich in einer positiv verstandenen Willkür über die gesetzlichen Bestimmungen hinweggesetzt und sogar insbesondere die Schwarze Liste gespielt, während Ostproduktionen verpönt waren. Diese Art der Veranstaltungen zogen demzufolge eine ganze Reihe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen an, welche sich in dieser sozialistischen Filterblase wohlfühlten.
[Bearbeiten] Ideologische Anleitung
Die SPUs wurden lokal vom Kreiskabinett für Kulturarbeit geführt, einer nachgeordneten Einrichtung des Rat des Kreises, welche vom Mitglied des Rates für Kultur überwacht wurde. Dort waren Lehrgänge zu absolvieren und alle zwei Jahre "Einstufungen" zu überstehen, ohne welche es keine "Spielerlaubnis" gab (in den Stufen A bis C, nach denen sich dann auch die abendliche Vergütung richtete). Die Diskotheken-Pässe für den SPU, ohne die er nicht auftreten durfte, mußten vom Mitglied des Rates für Kultur und vom Leiter des Kreiskabinetts für Kulturarbeit unterschrieben werden. Weiterführende Lehrgänge insbesondere zur Profiklasse S (Sonderstufe) führten die Bezirkskabinette für Kulturarbeit durch, nachgeordnete Einrichtungen der Räte des Bezirkes. Hierfür war eine besondere politische Eignung notwendig. Kandidaten, welche durch die Stasi gefördert wurden, hatte dafür einen Freischein.
Unterstützt wurden die Bezirkskabinette für Kulturarbeit von den Bezirkskulturakademien, welche für die ständige Weiterbildung und politischen Indoktrination der SPUs auf Bezirksebene zuständig waren. Wegen dieser sensiblen Aufgabe, Multiplikatoren wie die SPUs und andere Künstler entsprechend politisch zu impfen, waren die Direktoren der Bezirkskulturakademie sowie die überwiegende Mehrheit der Dozenten von der Stasi dort eingeschleust oder später gekrümmt worden.
Das Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR eröffnete nach 1973 die "Zentrale Arbeitsgemeinschaft Diskothek", welche zügig mit Herausgabe der Schriftenreihe "In Sachen Disko" (ISD) begann, welche 1980 bereits knapp 20 Hefte und bis zur Wende knapp 50 Hefte umfaßte (die Reihe litt wie der ganze Verlagsbereich auch in den letzten Jahren unter erheblicher Papierknappheit). Begonnen wurde neben propagandistischen Schriften voller sozialistischer Ideologie mit Heften, wo die Titel aufgelistet wurden, welche durch Rundfunksendungen der DDR zur Aufführung legalisiert wurden. Zunächst waren dies die Sendungen "Podiumsdiskothek" von DT 64, dem Jugendprogramm des DDR-Rundfunks (benannt nach dem letzten Deutschlandtreffen der Jugend 1964) und "Metronom" (seit 1972 vom Berliner Rundfunk ausgestrahlt, ab 1986 ebenfalls von DT64[14]), später kam die beliebte Sendung "Duett – Musik für den Rekorder" hinzu. In dieser 30-minütigen Sendung wurden die westlichen Titel komplett ausgespielt, kein Moderator sprach vorne und hinten auf den Song rauf. Perfekt zum Aufnehmen zuhause, nicht nur für die SPUs. Aus vielen Sendungen "Duett – Musik für den Rekorder" entstanden Monate später dann sogenannte "Lizenz-Platten" des DDR-Musiklabels Amiga. Damit konnte der SPU nach Lizensierung der Tonbänder im günstigsten Fall ein gutes Jahr nach der Veröffentlichung im Westen einen Titel offiziell aufführen (in der Regel verzögerte die Lizensierung der Tonbänder die offizielle Genehmigung um weitere Wochen bis Monate). Das Dauermanko war: infolge von chronischem Devisenmangel hinkte DT64 den Internationalen Charts um Jahre hinterher, eine Ausstrahlung bereits im Folgejahr der Veröffentlichung im Westen war schon ein besonderer Glücksfall. Demzufolge waren die Listen der ISD-Reihe schon beim Erscheinen die Listen der Titel, die schon lange nicht mehr gespielt wurden. Aber genau dafür kassierte die AWA. Mit den 30 Ostmark an die AWA war die Erlaubnis verbunden, Platten (später auch Musikkassetten) des Ostblocks aufzulegen. Mitschnitte der oben erwähnten angestaubten DDR-Rundfunksendungen waren mit 20 Pfennig pro Spielminute bei der AWA-Generaldirektion (Storkower Straße 134 in Ostberlin) zu lizensieren, ansonsten waren sie gewerblich nicht nutzbar. Dazu mußten Listen mit dem Inhalt der (Kassetten)Tonbänder in doppelter Ausfertigung eingereicht werden, eine behielt die AWA, eine wurde staatlich geprüft und galt abgestempelt als Lizenznachweis. Tonbänder bedurften seit der Verordnung über die Wahrung der Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte auf dem Gebiet der Musik vom 17. März 1955 einer besonderen Lizensierung.
[Bearbeiten] Realität
Tatsächlich lebte die DDR-Diskothek aber hauptsächlich von illegalen Mitschnitten westlicher Sender und zunehmend auch vom Auflegen westlicher Schallplatten aus den Intershops, den DDR-Devisenläden. Die AWA-Gebühren und AWA-Lizenzen dienten lediglich als Feigenblatt. Seit Einführung der Forumschecks durch den Bereich Kommerzielle Koordinierung unter Alexander Schalck-Golodkowski im Jahr 1976 wurden in den Intershops verstärkt auch ganz aktuelle westliche Schallplatten angeboten, um die Devisen der Bevölkerung abzuschöpfen. Gleichzeitig wurde die private Einfuhr von "dekadenter westlicher Musik" weiterhin strafrechtlich verfolgt, nun sogar verstärkt, um die Deviseneinnahmen der Intershops zu sichern. DDR-Bürger durften nur Forumschecks besitzen, der Besitz von Westgeld war weiterhin strafbar. Damit wurde Druck auf die Bevölkerung ausgeübt, ihre Devisen so schnell wie möglich dem Staat auszuliefern. Andererseits hatten die Forumschecks der DDR lediglich Wert in den Intershops, so daß ein recht schneller Zufluss der zwangseingetauschten Forumschecks in die Intershops gewährleistet war. Zu dieser Zeit bestand auch ein Zwangsumtausch für Westtouristen von 25 D-Mark pro Tag. Eine Forumscheck-Mark entsprach einer D-Mark.
Die westlichen Schallplatten kosteten im Intershop anfänglich knapp 15 DM, später knapp 20 DM. Sie wurden in der DDR zwischen 100 und 250 Ostmark gehandelt (je nach Beliebtheit). Es gab zur Steigerung der Deviseneinnahmen besondere Vereinbarungen mit der BRD, welche damit an dieser Art Geschäfte beteiligt wurde. So wurde das Beatle-Album "Love Songs" in der DDR gepresst, aber die Schallplattencover in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt und in die DDR exportiert. Das Album (Katalognummer: ODEON/VEB F 666.219/20) war ausschließlich in den Intershops der DDR erhältlich. Diese Art von deutsch-deutscher Zusammenarbeit wurde dann immer häufiger praktiziert. Aber auch die Angestellten der Intershops versuchten, auf ihre Kosten zu kommen. So wurden beispielsweise Lizenzplatten aus den Kulturzentren der Sowjetunion, von Polen, der CSSR, von Ungarn, Rumänien und Bulgarien für Ostmark eingekauft und für D-Mark in den Intershop gestellt, genauso wie sogenannte "Bückwaren" des täglichen Bedarfs. Die Stasi hat das in einem gewissen Grad toleriert, teilweise auch mit profitiert. Es sind aber bei Überhandnahme und bei Uneinsichtigkeit, die Stasi mit profitieren zu lassen, ganze Intershop-Belegschaften verhaftet und komplett ausgetauscht worden.
Bis heute weiß niemand, wie viele und welche Platten für die Intershops hergestellt wurden. Jeder Shop hatte ein anderes Angebot. Die Platten erschienen unter dem Label AWA, aber mit AMIGA-Labelcode, wurden in Potsdam mit originalem Cover der Westplattenfirma als Verkaufsexemplare, Weißmuster- und GEMA/BIEM-Pressungen hergestellt, und kamen dann in die Läden. Es sollen etwa 800 verschiedene Titel erschienen sein, von bis jetzt etwa 600 erfaßt worden sind. Gleichzeitig wurde die Strafe für Einfuhr solcher Platten aus dem Westen drastisch erhöht. Die Besitzer (DDR-Bürger) von Originalen hatten mit mehrjährigen Haftstrafen zu rechnen, die westlichen Überbringer wurden mit Einreiseverbot belegt. Genauso verfuhr die Stasi bei Antiquitäten und Briefmarken, Münzen etc. - nur umgekehrt: hier war jede Ausfuhr strafrechtlich bewehrt, und der westliche Empfänger erhielt Einreiseverbot. Während der DDR-Bürger, der DDR-Briefmarken (insbesondere die sog. "Sperrwerte") in den Westen schleuste, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurde, inserierten die westlichen Geschäftspartner der Stasi in den einschlägigen Briefmarkenzeitschriften: "Kaufen sie DDR-Marken - billiger als Tapete". Die Stasi machte ganze Bögen von Sperrwerten massenhaft zu Devisen, ließ begehrte Marken sogar nachdrucken, so daß der Markt dafür schließlich zusammenbrach. Die Stasi hütete bis 1989 eifersüchtigst ihr Monopol über die Devisen.
Da auch viele moderne Technik nur über den Intershop verfügbar war, mußte ein SPU mit gut 1000 Schallplatten, tausenden (Kassetten)Tonbändern und einer modernen Anlage auf internationalem Niveau üblicherweise zigtausende D-Mark investieren, denen wegen des schwindelerregend hohen "Schwindelkurses" umgerechnet hunderttausende Ostmark entsprachen. Von den 1970er bis zu den 1980er Jahren sank der offizielle Umtauschkurs von 1:5 auf 1:10 ab, und wegen des akuten Devisenmangels waren für den Bürger selbst für 1:10 Devisen gar nicht oder nur sehr, sehr begrenzt verfügbar (im Frühjahr 1990 stand der Kurs unter 1:20). Demzufolge bedeutete ein Spielverbot für einen SPU einen wirtschaftlichen Gau, so daß die Stasi mit denen ein leichtes Spiel hatte, sie zur Kooperation zu zwingen.
Im Grunde genommen waren die Vergütungen für eine Veranstaltung von 20 bis etwa 50 Ostmark (im Profibereich) in keinem Verhältnis zum notwendigen finanziellen Aufwand. Nach der Prüfung zum "Staatlich geprüften Schallplattenunterhalter" betrug die Vergütung in Kategorie A 5 Ostmark als Gage pro Stunde, in der Kategorie B waren es 6,50 und in der Kategorie C 8,50 Ostmark. Auch der sogenannte "Diskotheken-Techniker", der sich genauso lizensieren lassen mußte, erhielt nur die Grundvergütung von 30 Ostmark pro Veranstaltung, war dann aber für die gesamte Technik zuständig (in Profi-Diskotheken gab es auch Trennungen zwischen Licht-Techniker an der "Lichtorgel" und dem Ton-Techniker am Mischpult). Bei Diskotheken mit "Diskotheken-Techniker" beschränkte sich der SPU auf sein Mikrophon, seine Tonbandgeräte (Kassettenrekorder) und seine Plattenspieler. Da nur Ost-Schallplatten abgespielt werden durften, verzichteten viele SPUs Ende der 1970er und in den 1980er Jahre ganz auf Schallplatten und Schallplattenspieler und reisten mit zwei Mikrophonen (eins als Notfall-Ersatz) und drei, vier Kassetenrekordern und einer Tasche mit Kassetten (Tapes) von einer Spielstätte zur anderen oder hatten im günstigsten Fall eine Stammdiskothek mit eingebauter Technik wie große FDJ-Jugendklubs oder (Nacht)Bars. Aber auch dann gestaltete sich die Tätigkeit des SPU oft noch nur als kostspieliges Vanillity-Hobby zur Hebung des Selbstwertgefühls und Steigerung des Sozialprestige.
Die wenigen wirklich einträglichen Spielstätten mit fester Saalinstallation und modernster Technik waren fest in der Hand der Stasi. "Die Stasi bestimmt in erster Linie, wer in der DDR wieviel und womit sein Geld verdient", drückte es Hermann von Berg 1987 in einem DLF-Interview mit Karl Wilhelm Fricke und Peter Joachim Lapp aus, bei dem es um sein damals neu erschienes Buch "Marxismus-Leninismus. Das Elend der halb deutschen, halb russischen Ideologie" ging. Hermann von Berg war Geheimdiplomat der DDR (geheimer Kanal zwischen den beiden deutschen Regierungen) und gleichzeitig Spitzenagent der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) des Ministeriums für Staatssicherheit und entsprechend kompetent für diese Aussage. Später entwickelte er sich zu einem der exponiertesten DDR-Kritiker.
Da die Stasi grundsätzlich über jeden DDR-Bürger informiert war, durfte niemand ohne ihre Erlaubnis zu Geld und damit zu einem gewissen Einfluß kommen. Die Stasi tolerierte die üblichen Verdienstmodelle der SPUs und "legalisierte" sie teilweise mit "Schutzgeldern". Dieses Modell betraf vor allem jene SPUs, die in der Urlaubssaison an der Ostsee oder in den Mittelgebirgen sogenannten "DJ-Hopping" betrieben, womit die Veranstalter ständig mit neuen SPUs aufwarten konnten. Hierbei war es üblich, die Ostsee oder eine andere Urlaubsregion von einer Station zu nächsten zu bereisen. Statt zB 17 km Anreise von Sassnitz nach Binz zu berechnen, erschienen dann regelmäßig die Anreisen von hunderten Kilometern von den Heimatorten der SPUs aus Sachsen, Anhalt oder Thüringen. Die Nord-SPUs waren im Gegenzug in den Mittelgebirgen unterwegs. Hierdurch kamen für DDR-Verhältnisse astronomische Einnahmen in Ostmark zustande, so daß in einem Monat mehrere Jahresgehälter erzielt werden konnten. Davon kassierte die Stasi einen Teil wieder ab. Die gut gefüllten Urlaubskassen der Touristen ermöglichte dieses Geschäftsmodell.
Nicht ganz so lukrativ, aber dafür regelmäßig waren die Einnahmen aus der Gründung eines "privaten" Jugendklubs, oft an einer Gaststätte mit Tanzsaal eingerichtet. Die Jugendlichen erhielten als sogenannter FDJ-Ordnungsdienst mit Armbinden in der Regel einen feuchten Händedruck, im günstigsten Fall mal 5 oder 10 Ostmark von den Einnahmen. Sie gaben sich in der Regel mit dem gestiegenen Sozialprestige als Einlasser zufrieden. Die Kasse der Einnahmen mit durchaus auch über 1000 Ostmark kam an die Diskothek. Der Wirt bekam seine Saalmiete, er hatte ohnehin schon seinen guten Umsatz. Manchmal verlangte der Wirt aber auch noch straflos die Hälfte der Einnahmen, womit er sich als geschützter Stasi-IM outete, denn wer anders konnte sich das damals nicht leisten. Auch diese Geschäftsmodelle wurden von der allgegenwärtigen Stasi observiert und toleriert. Im Bedarfsfalle konnten sie den SPU damit krümmen, d.h., als Informant verpflichten, denn hier liefen mit der Zeit ebenfalls für DDR-Verhältnisse astronomische Summen auf, die niemand im Ernstfall wieder zurückzahlen konnte. Die Einnahmen gingen allerdings zu einem großen Teil in neue Tonträger und vor allem in neue Disko-Technik.
[Bearbeiten] 16. November 1976: Ausbürgerung von Wolf Biermann
Skurril wurde die Situation nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann am 16. November 1976 (einer kulturpolitischen Zäsur). Es war danach strengstens untersagt, DDR-Musik von Künstlern abzuspielen, die sich mit Biermann solidarisch erklärt hatten, oder die womöglich sogar in den Westen ausgereist waren wie Manfred Krug, Veronika Fischer, Hansi Biebl, Holger Biege (der Bruder von Gerd Christian [Biege!], dem plötzlich sein Nachname verboten wurde) oder Renft (die teilweise ausgereist war und bis dahin neben den Puhdys die populärste DDR-Band war). Da viele Künstler unter Zwang ihre Solidarität mit Biermann wieder zurücknahmen und danach sogar besonders gelobhudelt wurden, war die Situation völlig unübersichtlich. Manche Künstler reisten danach trotz erzwungener Rücknahme der Unterschrift aus (oder gerade deswegen). Es wurde sicherer, keine DDR-Titel mehr zu spielen, was von den zuständigen Kreis- und Bezirkskabinetts für Kulturarbeit als "das kleinere Übel" schließlich sogar stillschweigend toleriert wurde. Andererseits hatte der Staat nun jederzeit die Möglichkeit, einen SPU zu verbieten, wenn ihm danach war. Der SPU mußte durch die nun eingetretene Toleranz, seinem Publikum verpflichtet, möglichst die modernste, illegal aus dem Westrundfunk mitgeschnittene Musik spielen. Geschützt durch Mauer und Stacheldraht konnte er sogar noch während der Diskothek-Veranstaltung frisch ausgestrahlte West-Musik (besonders aus Internationalen Hitparaden) sofort im Anschluß in den Saal einspielen, ohne in irgendeiner Form belangt zu werden.
Besonders beliebt war die "Internationale Hitparade" beim NDR 2 aus Hamburg 100, aber auch der RIAS. Die "Internationale Hitparade" des NDR 2 mit Wolf-Dieter Stubel wurde ab 1967 samstags 18.00 ausgestrahlt, zur damaligen Hochzeit von DDR-Diskotheken, die in der Regel von samstags 18.00 bis 22.00 Uhr liefen (wobei die Jugendlichen oft schon Stunden vorher nach Karten anstanden). Die Sendung wurde vom SPU vollständig mitgeschnitten, danach in Windeseile auseinandergeschnitten, die einzelnen Titel mit Vorsatzbändern (grün für den Bandanfang, rot für das Bandende) versehen und auf Minispulen umgespult. Noch am gleichen Abend konnten die Titel dann in den Saal eingespielt werden. Beliebt waren auch die Mitschnitte der "NDR-Nachtmusik" mit damals absolut professionellen Übergängen, die der SPU dann in den Diskotheken nachnutzen konnte.
- Ein Beispiel: Am Samstag, den 27. August 1977 lief gegen viertel nach Sieben in der "Internationalen Hitparade" beim NDR 2[15] als "frisch auf der englischen Hitliste" der Titel Pipeline von Bruce Johnston (einem Ex-Mitglied der Band The Beach Boys). Noch vor um Neun lief der frisch aufgenommene Titel im Saal. Da es sich um eine Coververion eines Surfmusik-Instrumentals der Chantays von 1962 handelte, wurde der Titel damals schnell Kult in DDR-Diskotheken, teils auch als Intros, später auch als "Rausschmeißer". Das Original erreichte Platz 4 der Billboard Hot 100. Mit dieser Surf-Rock-Musik kam ein Hauch kalifornischer Surf-Freiheit in die DDR, wo sogar Neoprenanzüge von der Stasi reglementiert worden, weil damit Republikfluchten befürchtet wurden. Die ausgekoppelte Single Pipeline erreichte 1977 Platz 33 der britischen Hitparade. Dies blieb Bruce Johnstons einzige Chartnotierung als Solist. In diesem Jahr des Saturday Night Fevers (mit den Bee Gees) hatten aber auch andere Coverversionen Erfolg, so Needles and Pins von Smokie nach dem Original aus dem Jahr 1963 von Jackie DeShannon (bekannter geworden in der Coverversion der Band The Searchers von 1964).
- In der gleichen "Internationalen Hitparade" beim NDR 2 lief auch als Musikwunsch der Titel "Magic Fly" der damals frisch gegründeten französischen Instrumentalband Space, der zum absoluten Renner der Zeit wurde. Space spielte eine frühen Form des Electro-Pop und begründete das Untergenre Space Disco mit. "Magic Fly" erreichte als Single Platz 1 in Deutschland und hielt sich 31 Wochen in den Charts und kam auch in der Schweiz auf Platz 1, in England auf Platz 2. "Magic Fly" wurde damals zum beliebtesten "Intro" (und später auch "Outro") der DDR-Diskotheken. Andere beliebte "Intros" und "Outros" waren 1971 Popcorn von Hot Butter (in Deutschland und der Schweiz Platz 1 und 22 Wochen in den Charts), 1973 "Dan the Banjo Man" von Phil Cordell als "Dan the Banjo Man" (Platz 1 in Deutschland, 31 Wochen in den Charts, von vielen Radiostationen als Hintergrundmusik eingesetzt) und 1977 sowohl Jean-Michel Jarre mit Oxygène (vor allem Part V mit einer Länge von 10:23 min) als auch Richard Clayderman mit Ballade pour Adeline. Ein Jahr später wurde Equinoxe (Part 5) von Jean-Michel Jarre mit nur 3:54 min Länge zum absoluten Renner unter den "Intros", wohingegen das lange Oxygène (Part V) dann meist als "Outro" endete. Diese "Intros" und "Outros" hielten sich auch bis weit in den 1980er Jahre und oftmals sogar bis zur Wende.
- Ein Bonmot der Zeit war die rasante Verbreitung von Another Brick in the Wall (englisch für Ein weiterer Ziegelstein in der Mauer) von Pink Floyd. Am Freitag, den 23. November 1979 veröffentlicht, spielten es bereits viele DDR-Diskotheken am Samstag, den 24. November 1979 in die Säle ein. Durch das in der Regel jugendliche Publikum verbreitete sich der Millionenhit[16] in Windeseile auf den Schulhöfen, Berufsschulhöfen und an den Fach- und Hochschulen der DDR. Besonders lustig war der Umstand, daß durch die jahrelange antiamerikanische Doktrin der DDR die Lehrkräfte meist gar nicht verstanden, was da gesungen wurde, so daß sich der Hit ungebremst verbreiten konnte. Die kritischen Passagen gegen eine bestimmte Art des Lernens führten dazu, dass Another Brick in the Wall, Part II als anarchistische Hymne für Proteste verwendet wurde. Nachdem farbige Schüler in Südafrika das Lied bei ihren gewaltsam niedergeschlagenen Protesten gegen den von der Apartheid-Ideologie bestimmten Lehrplan sangen, verbot es die Regierung am 2. Mai 1980. Zu dieser Zeit war der Millionenhit auch in der DDR längst auf die Schwarze Liste gewandert. Hier richtete sich aber der mit diesem Lied verbundene Protest zunehmend gegen die Berliner Mauer sowie Stacheldraht und Selbstschußanlagen nach Westdeutschland. Das Lied wurde Teil der Bewegung "Die Mauer muß weg!" Nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 wurde The Wall am 21. Juli 1990 am Potsdamer Platz nochmals aufgeführt. Dieses gigantische Spektakel erforderte eines der größten jemals aufgebauten Bühnenbilder, das über zweitausend Menschen auf die Bühne brachte und von über 300.000 Zuschauern live gesehen wurde. Für dieses Konzert wurden etwa 200.000 Karten verkauft, unmittelbar vor Beginn wurden aber die Tore aus Sicherheitsgründen geöffnet, weil noch viel mehr Menschen ohne Eintrittskarte auf das Festivalgelände drängten. Mit sieben Megawatt Leistung war die Beschallungsanlage die größte, die je für ein einzelnes Konzert gebaut worden war. Bis heute ist The Wall das einzige Konzert, das durch seinen Veranstaltungsort auf der innerdeutschen Grenze mit einer Bühne gleichzeitig in zwei Staaten stattgefunden hat.
- Vgl. "East-Side-Galery", gelegen zwischen der Jannowitzbrücke und der Oberbaumbrücke. Reste der Berliner Mauer, die nach der Öffnung von vorwiegend ostdeutschen Künstlern auf der Ost-Seite bemalt wurden. Motiv: "The Wall" von Pink Floyd.
- Vgl. Aufführung von "The Wall" im Zentrum Berlins 1990.
Der SPU mußte 30 Ostmark pro Halbjahr an die "Anstalt zur Wahrung der Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte auf dem Gebiet der Musik" (AWA) abführen, obwohl er in dieser Phase nicht einen Titel aus der DDR spielte, für die die AWA die Rechte hielt. Hierdurch war jeder SPU angreifbar. Einem Spielverbot konnte der SPU allerdings auch mit einer Kooperation als IM der Stasi entgehen. Im Laufe der Zeit besetzte so die Stasi die Mehrheit der Diskotheken mit eigenen Leuten oder mit gekrümmten "Blauen" (zur Mitarbeit gezwungene IMs = Inoffizielle Mitarbeiter, nach den blauen Aktendeckeln für die IM-Akten). Besonders gern bediente sich die Stasi dabei Homosexueller, weil Homosexualität bis 1968 in der DDR strafbar war und jederzeit im Gefängnis enden konnte. Danach reichte der Hinweis darauf, den Betroffenen unfreiwillig zu outen:
- "Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) setzt bei der Repression auch auf den Einsatz »Inoffizieller Mitarbeiter« (IM). Lesben und Schwule zählen zu jenen Personengruppen, die nötigenfalls qua Erpressung zur Kooperation gezwungen werden, da das Öffentlichmachen ihrer sexuellen Orientierung als Druckmittel verwendet werden kann. Eine hauptamtliche Mitarbeit Homosexueller sieht das MfS indes nicht vor: Es herrschen homofeindliche Kaderrichtlinien und entsprechende Einstellungs- und Entlassungspraktiken."[17]
In einem Akt positiver Willkür genossen homosexuelle SPUs dann eine besondere Immunität, während sie im Weigerungsfall auch nach 1968 mit untergeschobenen angeblichen "kriminellen Delikten" im Gefängnis landeten, wo sie dann natürlich besonders gemobbt und geschmäht wurden.
[Bearbeiten] 1980er Jahre: inoffiziell Diskotheker oder Disko-Moderator
Der offizielle Begriff des Schallplattenunterhalters hat sich nicht allgemein durchsetzen können, so daß bereits in den 1980er Jahren die Begriffe "Diskotheker" und auch "Disko-Moderator" zumindest im Sprachgebrauch der DDR als Euphemismus zum westlichen Discjockey verwendet wurden, auch weil das (Kassetten)Tonband die Schallplatte als Haupttonträger verdrängt hatte. Der "Diskotheker" war die Bezeichnung für jeden Schallplattenunterhalter, "Disko-Moderator" war jemand, der sogenannte "Gestaltete Diskotheken" mit einem Kulturprogramm leitete, die dann 50 Pfennig teurer im Eintritt waren, zum Beispiel 2,10 Ostmark statt 1,60 Ostmark. Die 10 Pfennige (früher 5 Pfennige) waren eine sogenannte Kulturabgabe und mußten an den Staat abgeführt werden, der im Gegenzug (Jugend)Klubhäuser und Kulturhäuser oder Theater und Kinos finanzierte. Beliebt war der Trick, sich aus diesen Mittel oder aus den Mitteln der Jugendarbeit etc. halbprivate Klubs für die Funktionäre der SED oder CDU oder anderen Blockparteien und Massenorganisationen zu finanzieren, zu denen dann nur eine ausgewählte Oligarchie Zugang hatte. Der Klub der Intelligenz im Lingnerschloss war da nur die Spitze des Eisberges. Für diese Veranstaltungen wurden dann besonders zuverlässige SPUs gebraucht, die dann oft auch eine Ausbildung als Conferencier oder Rundfunksprecher besaßen (oder ihnen wurde eine solche Ausbildung ermöglicht). Abgerechnet wurden diese Oligarchenklubs als normale Jugendklubs, normale Klubs des Kulturbundes etc. Diese Praxis endete schlagartig mit dem Ende der DDR.
[Bearbeiten] Ab 1985: Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion
In der Endphase der DDR wurde entgegen der Liberalisierung in der Sowjetunion (unter Gorbatschow) erneut ein sehr rigider Kurs von Zensur gefahren, der sich nun statt gegen die "westliche dekadente Musik" gegen den Einfluß aus dem Osten abzusichern suchte. Jeder SPU, der sich positiv zu den sowjetischen Reformen öffentlich äußerte, wurde sofort mit Lizenz-Entzug belegt. In dieser Phase schrumpfte der Bestand an SPUs von etwa 8.000 in der Glanzzeit auf etwa 6.000 offiziellen staatlich geprüften SPUs.
1988 wurde die Zeitschrift "Sputnik" verboten, weil sie einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem sie den Öffnungskurs von Gorbatschow bejahte. Daraufhin sprach eine Moderatorin von DT64 vom "Absturz eines Sputniks" und spielte das Lied "Aufruhr in den Augen" der Berliner Band Pankow. Die Moderatorin wurde strafversetzt und der verantwortliche Redakteur bekam Mikrofonverbot.
Im Gegenzug entwickelte sich eine Subkultur, welche autonom von staatlicher Gängelei illegale Diskotheken mit illegalen Diskjockeys betrieb, besonders im Bereich Punk, aber auch in der Blues-Szene. Diese wurden zwar recht schnell wieder aufgelöst, formierten sich aber oft andernorts wieder neu. Dieses Katz-und-Maus-Spiel mit der Stasi zog sich bis zur Wende hin.
vgl. Subkultur in Bernburg (Saale) als eines der Zentren illegaler Diskotheken und Punks in der DDR und später in den neuen Bundesländern
[Bearbeiten] Weblinks
- Abschnitt DJs in der DDR im Artikel DJ in der deutschsprachigen Wikipedia
[Bearbeiten] Anmerkungen
- ↑ "Laut Willy Brandt, dem regierenden Bürgermeister von Westberlin, sind im August des Jahres 1958 16.000 Flüchtlinge aus der Sowjetzone nach Berlin gekommen [2.000 mehr als im August 1957]. Besonders starkem Druck seien die sogenannten 'Grenzgänger' ausgesetzt. Der Andrang in den Flüchtlingslagern in Westberlin ist stark. Geplant sind zusätzliche Flüge zum Transport der Flüchtlinge nach Westdeutschland. Gründe für die Flucht aus der Sowjetzone gibt es viele: Seien es eine Arbeitsstelle im Westen, der politische Druck, schlechte Bildungschancen für die eigenen Kinder oder persönliche Verfolgung." In: SWR2 Archivradio: Fluchtpunkt Deutschland: "Vor dem Mauerbau: Willy Brandt über Flüchtlinge aus der DDR [4. September 1958]. Tausende Menschen kehren der DDR bis zum Mauerbau 1961 den Rücken und werden damit zu 'Landflüchtigen im eigenen Land'. Unter den Flüchtlingen befinden sich zahlreiche Lehrer, Professoren und Ärzte. [250 Lehrer, davon 220 Neulehrer im August 1958]." (abgerufen am 19. April 2024).
- ↑ Die Stasi registrierte 1958 193.664 sog. "R-Fluchten" (=Republik-Fluchten). In: "Republikflucht seit 1953" (bis 1959), Karteikarte der Stasi aus stasi-mediathek.de (abgerufen am 19. April 2024).
- ↑ Jens Richard Giersdorf: "Volkseigene Körper. Ostdeutscher Tanz seit 1945." transcript, 2014, ISBN 978-3-8376-2892-0, S. 58–62.
- ↑ Ein Plattenwechsler eröffnete die Möglichkeit, mehrere Platten gleichzeitig einzulegen und diese nacheinander abspielen zu lassen. Hierzu wurden die Platten auf eine verlängerte Mittelachse aufgesteckt und mit einem Mechanismus festgehalten. War eine Platte fertig gespielt, wurde die nächste auf den Plattenteller fallengelassen. Manche Modelle verfügten über eine Abtastfunktion, die den Durchmesser der Platten ermittelte und es somit ermöglichte, auch Platten unterschiedlicher Größe nacheinander abzuspielen. Nachteile waren jedoch, dass die Platten nicht umgedreht werden konnten und damit nur eine Seite pro Platte abgespielt werden konnte.
- ↑ Das KB100 II war das verbesserte Nachfolgegerät des KB 100, das nur von 1958 bis 1959 vertrieben wurde. Es kostete damals stolze 988 Ostmark - etwa zwei bis drei Monatsgehälter (das KB 100 nur 790 Ostmark) - und war ein zeittypisches Doppelspur-Mono-Koffertonbandgerät mit 2 Geschwindigkeiten (polumschaltbarer Synchronmotor) und automatischer Bandendabschaltung. Es verfügte über einen Halbspurkombi- und einen Löschkopf sowie HF-Vormagnetisierung. Die Löschung erfolgte automatisch bei Aufnahme, durch betätigen der Löschsperre waren aber auch Trickaufnahmen möglich.
- ↑ ["Zu DDR-Zeiten völlig vergriffen: Das sind die 18 begehrtesten Amiga-Platten."] In: Mitteldeutsche Zeitung (MZ) vom 28. Juni 2019.
- ↑ Simone Tippach-Schneider: "Das große Lexikon der DDR-Werbung." Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2004.
- ↑ Stephan Schulz: "What a Wonderful World: Als Louis Armstrong durch den Osten tourte", Verlag Neues Leben, ISBN-10: 3355017728, ISBN-13: 978-3355017725.
- ↑ "Louis Armstrong in der DDR: Gastspiel einer Jazz-Legende". MDR vom 31. Juli 2022.
- ↑ Berliner Stimme vom 13.01.1979.
- ↑ DL 1/2873. Maßnahmen zur Durchführung von Jugendveranstaltungen im Gaststättenwesen. Zeitraum: [Ab] 1971. In: Bundesarchiv. Ministerium für Handel und Versorgung, Teil: 1945-1990, sachthematisch. Teil 2: 1945-1990, sachthematisch. 4. Organisation des Handels. 4.3. Staatlicher Einzelhandel. 4.3.1. Bildung, Umbildung und Auflösung staatlicher Einzelhandelsbetriebe.
- ↑ "Diskjockei-Lehrgang". In: Berliner Zeitung. 22. August 1972, S. 6.
- ↑ Originalton Walter Ulbricht: "Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Mit der Monotonie des Je-Je-Je und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen." beim MDR.
- ↑ vgl. Titelauswahl aus den Musikfolgen der Sendungen "Podiumsdiskothek" und "Metronom" des Jugendstudios DT64 beim Berliner Rundfunk. = In Sachen Disko (ISD) Nr. 11 (Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR Leipzig, 1977), zusammengestellt von Hartmut Kanter, mit Auszug über die Anordnung vom 15. Juni 1964 über die Ausübung von Tanz- und Unterhaltungsmusik (GBl. II, Nr. 65, S. 597),
- ↑ NDR 2 Internationale Hitparade mit Wolf Dieter Stubel 27.08.1977 (19 Min Fragment).
- ↑ Die Single Another Brick in the Wall (Part 2) wurde am 23. November 1979 veröffentlicht und verkaufte sich innerhalb von 5 Tagen in Großbritannien 340.000 Mal, bis Januar 1980 waren hier 1.080.000 Exemplare verkauft, wozu insbesondere der Status als Weihnachts-Nummer-eins-Hit beitrug. In den USA gingen 1,5 Millionen, in Frankreich 841.000 und in Deutschland 250.000 Singles über die Ladentheke. Insgesamt wurden weltweit 3,661 Millionen vermarktet. Der nonkonformistische Millionenseller über die repressive Schulpolitik war in 10 Ländern Nummer-eins-Hit, darunter in den Vereinigten Staaten vom 22. März bis 23. April 1980, in Großbritannien vom 9. Dezember 1979 bis 15. Januar 1980 und in Deutschland vom 4. bis 18. Februar 1980 sowie am 3. März 1980. In Österreich war die Single vom 1. März bis 30. April 1980 und in der Schweiz vom 3. Februar bis 19. April 1980 Nummer eins.
- ↑ Stella Hindemith, Prof. Dr. Christiane Leidinger, Prof. Dr. Heike Radvan und Dr. Julia Roßhart für den Verein Lola für Demokratie in MV e.V. (Hrsg.): "Wir* hier. Lesbisch, schwul und trans* zwischen Hiddensee und Ludwigslust. Ein Lesebuch zu Geschichte, Gegenwart und Region." Berlin 2019, S. 26.