Domschule Meißen
Die lateinische Domschule Meissen war die erste nach westlichen Quellen überlieferte Einrichtung der (deutschen) "vaterländischen Schulgeschichte" (Johannes Müller) in Sachsen.
[Bearbeiten] Späte Gründung
Die Domschule Meißen ist offenbar eine späte Gründung. Die Gründung des Bistums Meißen erfolgte 968. Dennoch gab es in Meißen nie den an Domschulen im 11. und 12. Jahrhundert üblichen magister scholarum, dafür aber in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts die damals abweichende Bezeichnung Schulmeister (schulmeistir, schulmeyster).
[Bearbeiten] Domschule Magdeburg bereits im Gründungsjahr 968
Im zeitgleich mit dem Bistum Meißen 968 gegründeten Erzbistum Magdeburg baute der Erbischof Adalbert von Magdeburg von Anbeginn an die Domschule Magdeburg auf. Es gelang ihm innerhalb weniger Jahre, seine Domschule zu einem Bildungszentrum des Reiches auszubauen. Die Leitung der Domschule Magdeburg wurde dem Leiter der Klosterschule St. Moritz Ohtrich übertragen. Zu dessen Schülern gehörten Wigbert von Merseburg, Adalbert von Prag, Bruno von Querfurt, Thietmar von Merseburg und der spätere Bremer Domscholaster Thiadhelm. 978 wurde Ohtrich Hofkapellan, trat in die Hofkapelle Ottos II. ein und verließ Magdeburg.
Schon der zweite Bischof von Merseburg Giselher von Magdeburg (reg. seit 970) setzte alles daran, Nachfolger von Adalbert von Magdeburg (gest. 981) und damit Erzbischof zu werden. Obendrein vergrößerte er seinen Machtbereich, indem er einfach das Erzbistum mit seinem Bistum Merseburg verschmolz, ein Zustand, der erst nach seinem Tod 1004 wieder behoben werden konnte. Unter diesen Umständen konnte es zu keiner frühen Domschule in Merseburg kommen.
[Bearbeiten] 1179: Neuregelung der kirchlichen "Licentia Docendi" (Lehrerlaubnis) durch Papst Alexander III.
Ab 1179: die Lehrer einer Domschule benötigen eine durch Papst Alexander III. (reg. 1159 bis 1181) neu geordnete Licentia Docendi (Lehrerlaubnis) des Scholastikus (des für den Unterricht verantwortlichen Klerikers im Domkapitel)[1] - demzufolge brauchen alle Lehrer der Domschule Meißen (nachgewiesen seit 1183) von Anbeginn an diese römisch-katholische Lehrerlaubnis - die Einrichtung der Domschule Meißen ist wahrscheinlich eine Reaktion auf diesen päpstlichen Erlaß
- Die gregorianische Reform der katholischen Kirche führte im 11. und 12. Jahrhundert zu einer verstärkten Konzentration auf die freien Künste in den bischöflichen Schulen, wobei Papst Gregor VII. (reg. 1073 bis 1085) allen Bischöfen befahl, Vorkehrungen für den Unterricht in den freien Künsten zu treffen. Kanzler und Scholastiker übten ein hohes Maß an Kontrolle darüber aus, wer innerhalb ihres "locus magisterii" (Bereichs der Lehrbefugnis) unterrichten durfte. Im Laufe des 12. Jahrhunderts wurde der Grad ihrer Kontrolle so stark verschärft, dass sie praktisch ein Monopol über alle Lehrer in ihren Diözesen hatten und es Lehrern untersagt war, ohne die ausdrückliche Genehmigung ihrer Scholastiker als Ausbilder zu fungieren. Manchmal kam es zu Konflikten zwischen den Scholastikern und den örtlichen unabhängigen Pädagogen, die ohne ihre Erlaubnis Bildungseinrichtungen betrieben, und die Kanzler verlangten oft teure Geschenke, bevor sie eine Lehrbefugnis erteilten. Als Reaktion auf diesen eskalierenden Machtmissbrauch forderte Papst Alexander III. im Jahr 1179, dass jedem, der als lehrfähig erachtet wird, eine kostenlose "licentia docendi" gewährt werden sollte. Dies ermöglichte es der Kirche, ihre Bildungskontrolle schrittweise zu zentralisieren und die Macht einzelner Gelehrter zu verringern.
[Bearbeiten] 1183: Erster Meißner Scholastikus
Die Domschule Meißen ist erstmals am 9. Juni 1183 durch den Meißner Domherren "Sigemundus scholasticus" belegt. Zu dieser Zeit war die kirchenslawische Akademie Nisan bereits (seit Ostern = 20. April 1169) von Nisana nach Kayticz verlegt worden.[2] Diese unerwünschte Konkurrenz wurde zur Zeit des Martinus scolasticus (als zweiter Meißner Domlehrer seit dem 13. Dezember 1206 belegt) am 12. März 1212 durch den Bischof von Meißen Bruno II. aufgelöst und mußte als Kryptoschule bei den Skudizern Zuflucht suchen.[3]
[Bearbeiten] Lateinschüler aus Nisan/Dresden bis um 1300
Lateinschüler aus dem Gau Nisan (später der Raum Dresden) besuchten zunächst die Domschule Meißen, ab spätestens dem Jahr 1300 dann die örtliche Kreuzschule.
Hypothetisch stand ihnen auch schon die Klosterschule St. Moritz in Magdeburg (nachgewiesen seit ca. 950) und die spätere Domschule Magdeburg (968 mit dem Erzbistum gegründet) offen - praktisch wurde den Slawen incl. der Sorben allerdings zunächst verwehrt, Kleriker zu werden - angeblich wegen ihrer Unwissenheit und Wildheit (Barbarentum). Selbst für die Frühzeit der Domschule Meißen am Ende des 12. Jahrhunderts gibt es noch keine Belege für slawische / sorbische Schüler. Die ab 1183 nachgewiesene Domschule Meißen entstand einzig und allein für den Bedarf der jüngeren Söhne des lokalen deutschen Adels, der seine Basis zwar im Altsiedelland hatte, aber lieber auf eine (Grund)Schule vor Ort zurückgreifen wollte. Die deutsche Besiedlung der Gaue Glomaci (Daleminci) und Nisan begann um 1150, signifikante deutsche Einwanderungszahlen waren erst in den 1170er Jahren erreicht.
Für (kirchen)slawische Schüler gab es seit 990 die Akademie Nisan in Bresnice (bis 1017), dann in Nisana (bis 1169) und zuletzt in Kayticz (bis 1212). Die Akademie Nisan mußte seit Reinward (Bischof von Meißen von 1140 bis 1150) drückende "Geschenke" aufbringen, um weiterexistieren zu dürfen. Zu Beginn des Jahres 1212 ließen sich sowohl Bischof Bruno II. (regierte 1209 bis 1228) als auch der Scholastikus Martinus (belegt 1206 bis 1214) noch fürstlich beschenken, um dann die Akademie Nisan (zu dieser Zeit bereits als Schule von Kayticz bezeichnet) am 12. März 1212 doch zu schließen.[4] Auf die Beschwerde der Schule hin antwortete der Bischof Bruno II., daß die Abmachungen mit "Ketzern" nicht verbindlich wären. Die Lateiner sahen den volkssprachlichen Unterricht als Häresie an, weil er dem Konzept der Tres linguae sacrae widersprach (Hebräisch, Griechisch und Latein):
- "Es gibt aber drei heilige Sprachen: die hebräische, die griechische, die lateinische, welche auf der ganzen Welt am meisten hervorragen. Denn in diesen drei Sprachen stand oben am Kreuz des Herrn auf Befehl des Pilatus dessen Verurteilungsgrund geschrieben."[5]
Die Verwendung der "lingua barbarica" (Volkssprache - auch als "lingua rustica" verunglimpft) als Literatur- und Schriftsprache wurde durch das Konzept der "Tres linguae sacrae" (Drei heiligen Sprachen) noch bis weit in die Renaissance hinein unterdrückt oder zumindest weitestgehend behindert. Mit dieser Methode wollte sich die römisch-katholische Kirche das Monopol über die Schriftlichkeit sichern, womit Urkundenfälschungen und Machtmißbrauch Tür und Tor geöffnet wurden.
[Bearbeiten] Nach 1383: Übergang zur Klosterschule St. Afra
Noch 1383 ist ein Scholastikus Hermann am Meißner Domkapitel nachweislich.
Im Verlaufe des 15. Jahrhunderts ging die Schulfunktion auf die Klosterschule St. Afra des Klosters St. Afra in Meißen über, aus der infolge der Reformation durch Verwendung von Teilen des Vermögens des damals aufgelösten Klosters 1543 die Fürstenschule St. Afra hervorging.
[Bearbeiten] Siehe auch:
[Bearbeiten] Johannes Müller: Die Anfänge des sächsischen Schulwesens (1887)
Johannes Müller schreibt in "Die Anfänge des sächsischen Schulwesens":[6]
- S. 7 "Die älteste Schule Sachsens ist die mit dem Dome zu Meissen verbundene. Hier in Meissen, dem Centrum des früheren kirchlichen und klerikalen Lebens Sachsens, hat die vaterländische Schulgeschichte ihren Anfang genommen. Die Existenz der Domschule, wenn man sie kurzweg so nennen darf, ergibt sich aber zunächst nur aus dem Vorkommen von Scholastici in der Reihe der Meissner Domherren. Der erste urkundlich belegbare ist ein "Sigemundus scholasticus" am 9. Juni 1183. Ob dieses Amt schon lange vorher begründet worden ist, wissen wir nicht. Meissen als Sitz der Wissenschaft und in Sonderheit den Bischof Benno (1066 bis 1106) als Pfleger derselben im 11. uns 12. Jahrhundert anzusehen, liegt kein Grund vor; die Benno zugeschriebene Anweisung zum Briefstil (liber dictaminum) und die Erklärung der Sonntagsevangelien (expositiones breves super evangelia dominicalia) auf der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel haben höchstwahrscheinlich nicht Benno, und noch weniger in der Zeit seines Meissner Bisthums, sondern wohl den Abt des Benediktinerklosters Goseck bei Naumburg zum Verfasser. Die Reihe der nach Sigemund bekannten Domscholastici nach der Zeit ihres ersten urkundlichen Vorkommens ist folgende: 1206 (13. Dezember) Martinus scolasticus, 1214 (23. April) Wipertus, um 1222 H., 1227 (18. Oktober) Ulricus de Kurin, 1249 (8. Dezember) Erpho, 1262 (1. März) Conradus," 8 "1272 (21. Januar) Theodericus, 1277 (16. März) Conradus de Boruz, 1288 (20. August) Theodericus, 1307 (15. Juni) Otto de Donyn, 1339 (25. Oktober) Arnoldus (de Rydebeck), 1342 (23. Oktober) Tammo de Luppe, 1350 (12. Februar) Theodericus de Gogh (Goch), 1353 (11. März) Tyczko (Theodericus) de Capelndorf, 1377 (30. Januar) Theodericus de Gogh, 1383 Hermann."
- "Die genannten Scholastici waren, wie anderwärts, sämtlich Domherren und stehen in der Reihenfolge der Urkundenzeugen meist immer hoch oben unter den Hauptwürdenträgern des Hochstifts, nach dem Bischof, Dekan und Propst vor oder auch gelegentlich gleich nach dem Kustus oder Kantor. ..."
- 9 "... Die Verleihung der Schulmeisterei war Sache des Bischofs zu Meissen ... Über die Bepfründung der Meissner Scholasterei wissen wir so gut wie nichts. ... Auch über die Obliegenheiten des Scholastikus fehlen bestimmte Anweisungen, wie sie andernwärts ... überliefert sind."
[Bearbeiten] Weblinks
- Domschule (Q1238718) bei Wikidata (Bildungseinrichtung) alias: Kathedralschule
- Domschule in der deutschsprachigen Wikipedia
[Bearbeiten] Anmerkungen
- ↑ Cédric Giraud: "A Companion to Twelfth-Century Schools." Brill 2019, ISBN 9789004410138, S. 30–50.
- ↑ Sorbisch-orthodoxes Synaxarion C, Bl. 43.
- ↑ Sorbisch-orthodoxes Synaxarion C, Bl. 57.
- ↑ Sorbisch-orthodoxes Synaxarion C, Bl. 43.
- ↑ Isidor von Sevilla: Etymologiae 9, 1, 3.
- ↑ Neues Archiv für sächsische Geschichte und Alterthumskunde Achter Band. Dresden 1887, S. 7-9.