Volkswohl
Der Verein Volkswohl war ein sozialreformerischer Wohlfahrtsverein. Er wurde auf Initiative des TH-Professors für Statistik und des Sozialreformers Viktor Böhmert am 7. Dezember 1888 gegründet und existierte bis 1945.[1] Besonders seine etwa 10 Volksheime und der zum Albertpark gehörende Heidepark machten den Verein stadtweit bekannt. Mit weiteren Unternehmungen wie den Volkswohlabenden, dem Volkswohltheater, einer eigenen Zeitschrift und Bibliothek betätigte sich der Verein im Bereich der Bildungsfürsorge ebenso wie mit den zeitweiligen Mädchen- und Burschenheimen und den Heidefahrten für Kinder im Bereich der Kinder- und Jugendfürsorge.
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[Bearbeiten] Entstehung und Programm
Die Ursprünge des Vereins Volkswohl liegen in dem 1880 in Dresden gegründeten Verein gegen Armennot und Bettelei und dem 1883 als Dresdner Bezirksgruppe gegründeten Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke. Bei der Gründung des Volkswohl 1888 stand Viktor Böhmert ein neunköpfiges "Comité für Volkswohl" zur Seite, dessen Mitglieder bis dahin allesamt dem Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke angehörten. Während mit ersterem eine enge Zusammenarbeit bis zur Zwangsangliederung 1937 bestehen blieb, kam es mit letzterem zum Bruch.
Was die Welt zusammenhält, ist die Treue in der Arbeit. Was uns wahrhaft beglückt, ist die Gesinnung und Freudigkeit, mit der wir an unser Tagewerk gehen und unsere Pflicht im Hause und Beruf erfüllen. All unser Schaffen ist gegenseitiges Dienen. Professor C. V. Böhmert [2]
Maßgeblich für das Programm des Volkswohls waren aus der Reform des Dresdner Armenwesens stammende Ansichten und im Kampf gegen die Trunksucht gesammelte Erfahrungen wie z.B. Kaffeeschänken statt Branntwein in den Fabriken oder öffentliche Lokale ohne Trink- und Verzehrszwang für die Arbeitenden. Gemäß der Genossenschaftidee von Schulze-Delitzsch glaubte man, dass Kleingewerbetreibenden, Handwerkern und Arbeitnehmern in wirtschaftlicher Bedrängnis durch Zusammenschluss zu helfen sei. Zugleich verstand man solche durch Vereinsarbeit zu erringenden sozialen Verbesserungen und die Erziehung der Arbeiter zur Selbsthilfe als Prävention gegen die Volksschäden Armut und Trunksucht.[3]
Im Gegensatz zur Volkshausbewegung, deren Häuser mehrheitlich in enger Kooperation mit sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Organisationen entstanden, sollten die Volksheime jedoch die soziale Befriedung befördern und den Einfluss der Sozialdemokratie zurückdrängen.
Immer stärker versucht er [der Verein Volkswohl] die Arbeiter vom Parteihader wegzulocken und sie zu wissenschaftlichem, künstlerischem, musikalischem Genuß hinzuführen und bei ihnen Freude an der Natur zu erwecken. Professor E. Mencke-Glückert [4]
Das Volkswohl hatte bereits Ende 1889 rund 600 Mitglieder. 1913 nach 25-jährigem Bestehen waren es fast 12300 Mitglieder. Die Spitze bei den Mitgliederzahlen wurde um 1922/1923 mit 19700 Mitgliedern erreicht. Danach sanken die Zahlen bis 1939 auf etwa 4400. 1913 waren hauptsächlich Unternehmer (Handwerker und Gewerbetreibende): 27,6%, Arbeiter: 19%, Frauen (eigenständige Mitgliedschaft im Gegensatz zu Ehefrauen): 16,8% und Beamte: 11,8% Mitglieder im Verein Volkswohl.
Neben den Volksheimen entwickelte sich das Theater des Volkswohls zu einem Besuchermagnet. Nach 1900 begannen Theateraufführungen nach der Idee eines Volkstheaters unter Leitung des Schauspielers Emil Conrad (1858-1918), des Dramaturgen Dietrich Metelmann (1879-1937), und einem von ihnen aufgestellten Ensemble (1913: 20 festangestellte Schauspieler).[5] 1907 wurde dazu der Trianon-Saal von der Feldschlößchenbrauerei gepachtet (Trabantengasse 3, in unmittelbarer Nähe zum solzialdemokratischen Volkshaus) und 1908 für das Theater umgebaut. In guten Jahren gab es mehr als 100 Vorstellungen, darunter Dramen, Märchen, Lustspiele und Opern. Der Trianon-Saal wurde auch für andere Vortrags- und Konzertabende des Volkswohls genutzt und konnte mehrfach pro Woche mit bis maximal 2000 Besuchern gefüllt werden.
Ein weiteres nennenswertes Standbein des Volkswohls, auch zur Werbung neuer Mitglieder, waren die Heidefahrten für Kinder und Jugendliche. Nach einer Dampferfahrt mit der Weißen Flotte und einer Wanderung in den Heidepark konnten die Kinder dort den Tag mit vielfältigen Aktivitäten verbringen.
[Bearbeiten] Kriegszeit und Weimarer Republik
Vor dem Ersten Weltkrieg, 1913, wurden in den Volksheimen etwa 370 000 Mittagsmahlzeiten ausgegeben. Während des Krieges übernahmen die Heime Volksküchen-Aufgaben (7-8 Küchen) im Rahmen der Kriegsorganisation Dresdner Vereine. Außerdem unterhielt der Verein noch zwei von der Stadt gestellte Zentralküchen (in der Terscheckstraße und in der Louisenstraße) und betrieb darüber hinaus drei Gulaschkanonen. Auch hatte der Verein, um die Lebensmittelversorgung sicherzustellen, 1917 drei Höfe in Hausdorf mit insgesamt 115ha erworben. Hohe Preise und zunehmender Mangel an Lebensmitteln zwangen die Leute scharenweise in die Heime zum Essen. Mit denen vom Volkswohl ausgegebenen Portionen wurde etwa 1/10 des Gesamts bewältigt. 1916 wurden 2,5 Millionen Portionen ausgegeben, 1918 waren es 1,8 Millionen.[6]
Die Zeit nach dem Krieg war durch die Bemühungen der Wiederbelebung des Vereinslebens gekennzeichnet. Die Zahl der Volkswohlabende nahm mit etwa 100 Schauspiel-, Musik- und Vortragsabenden im Jahr wieder deutlich zu. Auch hatte der Verein zunehmend mit der Konkurrenz durch Kino und Radio zu kämpfen. Das Theater wurde 1919 eingestellt. Viele der jahrzehntelangen Vereinsaktivitäten verschwanden, entweder ganz, wie der Volkswohlchor und die Mädchenabende, oder zeitweilig, wie z.B. der Jugendverein und die Bibliothek.
[Bearbeiten] NS-Zeit
Nach 1933 folgte das Volkswohl der Gleichschaltung. 1935 schloss sich der Verein der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt an. 1936 gab sich der Verein eine neue Satzung. Zudem erfolgte der Anschluss des Vereins gegen Armennot und Bettelei an das Volkswohl, womit dessen Vermögen und Grundstücke an das Volkswohl übergingen (1937 offiziell aufgelöst).
Was viele der besten deutschen Menschen, unter ihnen Viktor Böhmert, [...] erstrebt hatten, die soziale Versöhnung aller Glieder des deutschen Volkes, die Losreißung der Arbeiterschaft von dem Glauben an ein sozialistisches Zukunftsreich, das herbeigeführt werden sollte mit Hilfe internationaler Verbrüderung, ihre Gewinnung für die Liebe zum eigenen Staat als ihrem Werk und ihrem Mitbesitz, das verstand Hitler erfolgreich in wenigen Jahren durch seine großgedachten Maßnahmen und Gesetze in sozialer Hinsicht zu erreichen. Professor E. Menke-Glückert [7]
[Bearbeiten] Volksheime
Die Volksheime boten jedem Besucher, Arbeitern wie Angestellten und Kaufleuten und deren Familien, "Erholung, Unterhaltung und Bildung ohne Verzehrszwang". Es galt der Grundsatz der Selbstbedienung. Gäste konnten zwischen zwei bis drei Gerichten und einigen Getränken zu niedrigen Preisen wählen. Alle Heime wurden von ausgesuchten Paaren verwaltet. Helligkeit, Sauberkeit, reine Wäsche und Blumen waren Standard.
Um rentabel zu arbeiten, waren die Volksheime auf eine große Kundschaft angewiesen und konnten sich so nur in der Nähe zur Innenstadt halten. Deshalb wurden 1945 fast alle zerstört.
Nummer, Zeitraum, Name, Lage | Anmerkungen | Bild |
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Volksheim Nr. 1, 1889 – 1904 Maternihof, Maternistraße 16, ab 1891 Gärtnergasse 3 Wilsdruffer Vorstadt |
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Volksheim Nr. 2, 1889 – 1902 Paulinengarten, Wasserstraße 7 Innere Neustadt |
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Volksheim Nr. 3, 1890 – 1920 Musterwirtschaft, Bischofsweg 2 ab 1896 Oppellstraße 12 (früher 4a) Leipziger Vorstadt |
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1891 – 1909 Hospiz für durchreisende Frauen und Mädchen, Ammonstraße 24 Seevorstadt |
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Volksheim Nr. 4, 1893 – 1945 [1] Heidepark, Fischhausstraße 12 Radeberger Vorstadt |
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1894 – 1905 Lehrlingsheim, Feldgasse 2 Seevorstadt |
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Volksheim Nr. 5, 1899 – 1945 [1] Schäferstraße 59 ab 1917 Schäferstraße 4 Friedrichstadt |
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Volksheim Nr. 6, 1900 – 1904 Trachenberger Straße 8-10 Pieschen |
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Volksheim Nr. 7, 1901 – 1945 [1] Gutenbergstraße 5 Johannstadt |
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Volksheim Nr. 8, 1902 – 1945 [1] Nieritzgarten, Königsbrücker Straße 21 Antonstadt |
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Volksheim Nr. 9, 1904 – 1945 [1] Crispiplatz 6 Löbtau |
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Volksheim Nr. 10, 1904 – 1945 [1] Annenstraße 49 Wilsdruffer Vorstadt |
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1907 – 1945 [1] Marienheime, Holbeinstraße 121, Fürstenstraße 42 Johannstadt |
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Volksheim Nr. 11, 1914 – 1945 [1] Serrestraße 12 Pirnaische Vorstadt |
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Volksheim Nr. 12, 1916 – 1945 [1] Waisenhausstraße 35 Altstadt |
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1917 – 1935 Volkswohl-Landgüter in Hausdorf bei Glashütte |
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1936/1937 – 1945 [1] Elbgäßchen 8, Steinstraße 15 Pirnaische Vorstadt |
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[Bearbeiten] Quellen
- ↑ a b c d e f g h i j k bis 1938 durch E. Menke-Glückert belegt, aber vermutlich bis 1945
- ↑ Emil Menke-Glückert: Verein Volkswohl 1888-1938, zugleich ein halb Jahrhundert Dresdner Sozialgeschichte, S. 11, Dresden, 1939.
- ↑ Emil Menke-Glückert: Verein Volkswohl 1888-1938, zugleich ein halb Jahrhundert Dresdner Sozialgeschichte, S. 39, Dresden, 1939.
- ↑ Emil Menke-Glückert: Verein Volkswohl 1888-1938, zugleich ein halb Jahrhundert Dresdner Sozialgeschichte, S. 58, Dresden, 1939.
- ↑ Emil Menke-Glückert: Verein Volkswohl 1888-1938, zugleich ein halb Jahrhundert Dresdner Sozialgeschichte, S. 104f, Dresden, 1939.
- ↑ Emil Menke-Glückert: Verein Volkswohl 1888-1938, zugleich ein halb Jahrhundert Dresdner Sozialgeschichte, S. 109f, Dresden, 1939.
- ↑ Emil Menke-Glückert: Verein Volkswohl 1888-1938, zugleich ein halb Jahrhundert Dresdner Sozialgeschichte, S. 153, Dresden, 1939.
[Bearbeiten] Literatur
- Satzungen des Vereins Volkswohl. Dresden 1889 (Online) (Digitalisat der SLUB Dresden)
- Verein Volkswohl (Hrsg.): Die Reform der Geselligkeit, dargestellt an den Schöpfungen des Vereins Volkswohl zu Dresden. Dresden 1914 (Online) (Digitalisat der SLUB Dresden)
- Emil Menke-Glückert: Verein Volkswohl 1888-1938, zugleich ein halb Jahrhundert Dresdner Sozialgeschichte. Dresden 1939 (Online) (Digitalisat der SLUB Dresden)