Leihhaus
In Dresden gab es 1794 durch den Rat von Dresden verordnet "im dritten Stockwerke des Rathhauses zu Neustadt ... ein gut administrirtes Leihhaus", 1804 als "gegenwaͤrtig das Einzige in Kursachsen" bezeichnet. "Man expe=dirt daselbst Montags, Mittwochs und Freitags."[1] 1797 wurde auch der Begriff Leihhausexpedition verwendet. Die Leihanstalt in Leipzig wurde erst am 20. Februar 1826 eröffnet.[2]
[Bearbeiten] Bezeichnung
Der gewählte Begriff Leihhaus war ein klassischer Euphemismus:
- erstens handelte es sich um ein typisches kommunales Leihamt, das
- zweitens auch in keinem Leihhaus untergebracht war, sondern im städtischen Rathhaus zu Neustadt - und
- drittens wurde das Leihhaus vom (idR "regierenden") Bürgermeister als Deputierter (Deputatus) persönlich strengstens kontrolliert.
Im Jahr 1797 tauchte auch der Begriff Leihhausexpedition beim "Aufwärter bey der Leihhausexpedition Joh. Gotthelf Rielke" auf, der nur wenige Schritte vom Neustädter Rathaus entfernt in der Großen Klostergasse Nr. 224 wohnte.[3]
[Bearbeiten] Geschichte der Leihhäuser und Leihämter
[Bearbeiten] Mittelalter
- "1361 gründete der Bischof von London eine Bank, die Geld gegen Pfand ohne Zinsen verlieh, aber ohne Erfolg, da das Kapital rasch aufgebraucht war."[4]
- "Das erste öffentliche Leihhaus wurde durch den Franziskaner Barnada in Perugia im Jahr 1462 gegründet. Ursprünglich arbeiteten diese Leihhäuser mildtätig, also nicht gewinnorientiert. Der Name der Pfandgeschäfte „Monte di Pietà“ heißt „Berg des Mitleids“ [besser: Berg der Barmherzigleit] ... Das Ziel war Armen in finanziellen Nöten Hilfe zu gewähren. Darüber hinaus wollte man auch die jüdischen Geldverleiher aus den Städten verdrängen, welche, in der Ansicht vieler, Wucherei betrieben. Die Zinsen der Monte di Pietà waren zwar gering, aber unter Theologen umstritten. Denn laut dem Alten Testament der Bibel (Ex 22,24) ist die Auferlegung von Zinsen generell verboten."[5]
[Bearbeiten] Ab 1560: Leihämter in Deutschland
Die Einrichtung eines Leihamtes erfolgte in sozial schwierigeren Städten bereits erheblich früher, so in
- Hamburg 1560
- Augsburg 1603 ("Augsburger Pfandleihanstalt")
- Nürnberg 1618 (heute älteste deutsche Pfandleihe)
Die Blütezeit der Leihämter endete vorerst mit Beginn des dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648).
[Bearbeiten] Ab 1648: nach dem Dreißigjährigen Krieg
Im Jahr 1650 eröffnete dann auch Regensburg ein Leihamt.
In Berlin mußte 1692 das "Kurfürstliche Pfandhaus" eröffnet werden, nachdem sich die Einwohnerzahl seit 1680 auf 20.000 verdoppelt und die Einkommensmöglichkeiten nicht Schritt gehalten hatten. In Berlin eröffnete 1784 dann das "königliche Leihamt", das bis 1990 bestand.[6]
[Bearbeiten] 1794: Späte Gründung in Dresden wegen der prekären Lage der Handwerksgesellen und deren Aufstand
Der Geschichte der Leihämter zufolge erfolgte die Eröffnung eines Leihamtes in Dresden relativ spät - es wurde so lange wie möglich hinausgezögert, obwohl in Dresden im Jahr 1755 schon über 63.000 Einwohner lebten.
1794 war insbesondere die Lage der 4.000 Dresdner Handwerksgesellen so prekär, daß sie einen Aufstand verübten und sogar die Fronfeste erstürmten und die Wache überrumpelten, um die gefangenen 300 Schneidergesellen zu befreien - ein Ereignis, welches an den Sturm auf die Bastille vom 14. Juli 1789 erinnerte. Doch anders als in Paris wurde der Dresdner Gesellenaufstand durch das mit Kavallerie und Kanonen ausgerüstete Militär Friedrich August des Gerechten blutig unterdrückt.[7]
Dadurch wurde natürlich die Wurzel des sozialen Problems nicht beseitigt, sondern nur noch verfestigt:
- "Die hohen Abgaben der Zünfte an den feudalen Staat versuchten die Meister dadurch auszugleichen, daß sie die Gesellen ausbeuteten und sie durch alle möglichen Schikanen daran hinderten, Meister zu werden." [8]
Eine der kosmetischen behördlichen Maßnahmen zur Verschleierung dieser Ausbeutung und Unterdrückung war die Einrichtung des kommunalen Leihamtes. Den Gesellen ging es wirtschaftlich so schlecht, daß sie "Rock und Stock" versetzen mußten - noch verstärkt durch den Ersten Koalitionskrieg gegen das damals revolutionäre Frankreich.
Seit dem 20. April 1792 lief dieser durch die Pillnitzer Deklaration in Gang gesetzte Waffengang, an dem auch das Kurfürstentum Sachsen als Stand des Heiligen Römischen Reiches beteiligt war.
- 25. bis 27. August 1791: Mit der auf Schloss Pillnitz beschlossenen Pillnitzer Deklaration wurde der Waffengang gegen die Revolution in Frankreich verkündet.
Vor allem das arbeitende Volk hatte diesen Krieg zu finanzieren und litt dadurch besonders darunter. Es flossen Unsummen in das Militär, schon in der Vorbereitungsphase des Krieges und erst recht, nachdem am 22. März 1793 das Heilige Römische Reich durch Reichsschluß der Koalition offiziell beigetreten und den Reichskrieg erklärt hatte. Kontingente für eine Reichsarmee wurden aber erst ab 1794 mit Verzögerungen bereitgestellt, weswegen dieses Jahr für die Bevölkerung besonders prekär wurde und es im Juli zum Dresdner Gesellenaufstand kam. Die Gesamtstärke der Reichsarmee betrug 1795 44.000 Mann, die ausgerüstet und unterhalten werden mußten.
Im Dezember 1799 sah sich die Verwaltung dann sogar genötigt, eine Rumfordsche Suppenanstalt mit vier Verspeisungsanstalten für 500 Personen einzurichten - sicherheitshalber vor den Stadttoren und außerhalb der Stadtmauern, um weitere größere soziale Tumulte zu vermeiden (Vor dem Pirnaischen Thore Nr. 34A; Vor dem Wilsdrufer Thore in den 3 Rosen, in Neustadt Nr. 17A und in der Schäferstraße Nr. 155 in der Friedrichstadt).
[Bearbeiten] Die "Leihhausexpedition" im Jahr 1797
Im Jahr 1797 wohnte der "Leihhauskassier Hr. Gfried. Heinr. Schoͤnfeld" im Neustädter Rathaus.
Nur wenige Schritte entfernt wohnte am Marktplatz Nr. 212 (neben dem Salzschank in Nr. 211) der "Leihhauskalkulator Hr. Joh. Gottfried Kretzschmar".
Der "Aufwärter bey der Leihhausexpedition Joh. Gotthelf Rielke" wohnte ebenfalls nur wenige Schritte entfernt in der Großen Klostergasse Nr. 224.[9]
Im Neustädter Rathaus wohnten desweiteren:
"Nr. 132. *)
(Das Rathhaus.)
In demselben wohnen:
Hr. Joh. Christian Erhardt, Rathskellerpachter,
- haͤlt Billard, speist, schenkt Wein und Bier.
Hr. Johann Gottlob Janke, Stadtfourier.
Hr. Friedr. Aug Merbitz, Stadtgerichtskopist.
Anm. *) Diese Nummer ist nicht angeheftet.
[432] Karl Christian Partzsch, Stockmeister.
Hr. Christoph Ludwig Rudolph, Schulhalter."[10]
Im Haus am Marktplatz Nr. 212 (neben dem Salzschank in Nr. 211) wohnten desweiteren:
"Hr. Christoph Abicht, Schumachermeister.
Hr. Johann August Apelt, Schneidermeister.
Hr. Artary, Konditor beym koͤnigl. Großbrittanischen
- Gesandten.
Fr. Joh. Rosine Escher, Wittwe des verstorbenen
- Pastors zu Kaditz."[11]
[Bearbeiten] Pfandleihformulare (Pfandscheine)
Pfandleihformulare (Pfandscheine) aus der Zeit um 1800 haben sich sehr selten erhalten. Stellvertretend für Dresden wird hier deswegen ein Pfandleihformular aus Mannheim von 1810 zitiert. Die 1808 gegründete Mannheimer Pfandleihe ist heute (2024) die letzte in Deutschland in noch öffentlich-rechtlicher Hand, weswegen sich von dort noch so alte Pfandleihformulare erhalten haben.
"Pfandschein Nro. ... Vorzeiger dieses hat unterm heutigen von dem dahiesigen Leihhause auf die Zeit von ... Monathen, die Summe von ... Gulden geliehen, und dagegen zum Pfande eingesetzt ... Dieses Pfand ist von ... taxirt auf ... Gulden. Mannheim, den ... ten ... 18 ... Der Kassier. Der Kontrolleur."[12]
Dieses Formular wurde sicherlich seit der Gründung 1808 verwendet und ist den Vorbildern der damaligen Leihämter wie in Dresden nachgebildet. Allerdings war die Währung in Sachsen nicht Gulden, sondern gerechnet wurde in Konventionskurant: 1 Taler (Reichstaler) war eine Rechnungseinheit zu 24 Groschen.
Um die Amtlichkeit des Pfandscheins zu verdeutlichen, wurde ein sehr früher Einkreisstempel mit einem Zweizeiler benutzt:
"LEIHHAUS"
"MANNHEIM"
Die Umschrift lautete:
"GROSHERZOGTHUM BADEN"
Da Dresden ab 1806 französisch besetzt war, ist die Benutzung von Einkreisstempeln auch hier zu vermuten.
[Bearbeiten] Bürgermeister als Deputierte beim städtischen Leihhaus
Einer der drei Bürgermeister, meist sogar der "regierende" Bürgermeister hatte die Funktion des Deputierten (Deputatus) des städtischen Leihhauses inne, so daß dieses von der höchsten Stadtspitze unter Kontrolle gehalten werden konnte.
[Bearbeiten] 1808: Friedrich August Ermel
Im Adressbuch von 1809 ist der Jurist und Richter Friedrich August Ermel (* 31. Juli 1740 in Dresden; † 7. April 1812 ebenda) neben seiner Tätigkeit als Bürgermeister (1787 bis 1812) auch als
- Administrator des Leibnitzer (Leubnitzer) Amtes,
- Inspektor der Weinsteuer-Niederlagen-Gleits- und Wagenpfennigeinnahme sowie
- Deputierter beim Leihhaus verzeichnet.[13]
Er wohnte in dem Jahr in der Großen Brüdergasse Nr. 284.
[Bearbeiten] 1815: Gottlob Heinrich Schulz
1815 vom Stadtmagistrat zu Dresden neben Johann August Beck und Carl Christian Pohland zu einem der drei Bürgermeister (zuerst als sogenannter "beisitzender" Bürgermeister) ernannt, wurde der Jurist und Stadtrichter Gottlob Heinrich Schulz (* 28. Januar 1764; † 26. Februar 1821 in Dresden) im darauf folgenden Jahr 1816 regierender Bürgermeister von Dresden.
Außerdem hatte er im gleichen Jahr noch folgende Ämter inne:
- Administrator des geistlichen Brückenamtes und Gotteskastens,
- Inspektor der Kreuz-, Frauen- und Sophienkirche,
- Inspektor der Böhmischen Freischreibeschule sowie
- Deputatus beim städtischen Leihhaus.
Zu dieser Zeit war er aus der Neustadt (Rähnitzgasse 128) wieder in die Dresdner Altstadt, in die Pirnaische Gasse 689b umgezogen, wo er bis zu seinem Tod 1821 wohnte.[14]
[Bearbeiten] 1822: Johann Georg Ferdinand Jacobi
1823 wurde der Jurist Johann Georg Ferdinand Jacobi (* 14. Juni 1766 in Winningen; † 30. Oktober 1848 in Dresden) erstmals als "beisitzender" Bürgermeister erwähnt. Als solcher war er weiterhin für die Verwaltung des Leubnitzer Amtes und des Gotteskastens zuständig. Er war in jenem Jahr außerdem:
- Inspektor der Niederlage- und Wagenpfennig-Einnahme,
- Inspektor der "Behrischen Frey-Schreibe-Schule",
- Deputierter bei der Leipziger Steuerkreditkasse sowie
- Deputierter beim Dresdner Leihhaus.
Laut Adressbuch von 1823 wohnte er in der Mittleren Frauengasse Nr. 404.[15]
Er war bis 1832 Bürgermeister. 1828 zog Jacobi in die Kleine Schießgasse, in das Haus Nr. 664 in der Dresdner Inneren Altstadt.[16]
[Bearbeiten] Anmerkungen
- ↑ "Dresden, dargestellt aus dem Gesichtspunkte der Cultur. : Nebst einem Grundrisse der Stadt und statistischen Tabellen. : Dresden, 1804. | in der Arnoldischen Buch= und Kunsthandlung." Digitalisat der Universität Halle-Wittenberg (Erstes Titelblatt) - "Wegweiser durch die Gegend um Dresden bis Elsterwerda , Bautzen, Herrnhut, Rumburg, Aussig, Töplitz, Freyberg und Hubertsburg. : Eine Darstellung für Natur- und Kunstfreunde. : Erster Theil. : Zweite vermehrte Auflage. : Nebst einem Grundrisse der Stadt und statistischen Tabellen. : Dresden, 1804. | in der Arnoldischen Buch- und Kunsthandlung." - Kolophon: Dresden, gedruckt bei C. G. Gärtner. Zweites Titelblatt - Stadtplan von Dresden, S. 165.
- ↑ "Pohl und einige andere Mitglieder der Leipziger Ökonomischen Sozietät, einer Gesellschaft zur Förderung der sächsischen Wirtschaft, wollten den Sparkassengedanken gern auch in Leipzig verwirklicht sehen. Es sollte aber keine Sparkasse mit Privathaftung entstehen. Schon frühzeitig war die kommunale Garantie angedacht. Geplant wurde, die Sparkasse mit einem Leihhaus zu verbinden. Dort konnten die Menschen in Notsituationen Wertgegenstände verpfänden und Geld zu erträglichen Zinsen borgen. Schließlich konnte am 20. Februar 1826 die Leihanstalt eröffnen. Die Sparkasse folgte zwei Tage später. Damit war, nach einer Gründung in Zittau, die zweite Stadtsparkasse Sachsens entstanden. Spar- und Leihkasse befanden sich im Gebäude der Neuen Waage vor dem Halleschen Tor in der Packhofstraße. Ein Buchhalter und ein Kontrolleur taten dort Dienst. Außerdem gab es noch eine Schreibkraft und einen Hausdiener. Vor 190 Jahren hatten die Institute abwechselnd immer vormittags geöffnet. Zunächst waren nur Mittwoch und Samstag Sparkassentage. Bald wurden die Öffnungszeiten erweitert. Die Sparkasse war gut besucht. Allein bis Ende Februar 1826 zahlten die Kundinnen und Kunden 5.485 Taler und 22 Groschen ein. 2.000 Taler erhielt das Leihhaus als Vorschuss." Zitiert nach: "Aus der Geschichte der Sparkasse und des Leihhauses zu Leipzig".
- ↑ Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner 1797, S. 428.
- ↑ Zitiert nach: "Das Pfandleihhaus und seine Geschichte von der Antike bis heute".
- ↑ Zitiert nach: "Pfandhäuser im Mittelalter".
- ↑ Berlin hatte mit der am 1. Januar 1710 erfolgten Vereinigung der Städte Berlin, Kölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt dann bereits etwa 55.000, im Jahre 1747 über 100.000 und Ende des 18. Jahrhunderts über 170.000 Einwohner, womit Berlin zur damals sechstgrößten europäischen Stadt aufstieg.
- ↑ Den von den Schneidergesellen allhier gemachten Aufstand, welchem Gesellen anderer Innungen beigetreten, und die deshalb getroffenen Vorkehrungen, s. w. d. a. betreffend, auch die Instruction für die Herbergsväter. Ergangen vor dem coram Commissione., 1794 - Stadtarchiv Dresden (Archivalieneinheit) 2.1.3-C.XVII.84
- ↑ "Es begann damit, daß etwa 300 Schneidergesellen die Arbeit niederlegten aus Protest gegen ihre Rechtlosigkeit und soziale Notlage. Da uns kein Advokat dienen will ... Anlass dazu war ein Streit zwischen dem Schneidermeister Wismann und einem seiner Gesellen namens Erasmus Schmidt, der zu den Deputierten der Gesellenbrüderschaft gehörte und von Wismann verhindert wurde, an einer Deputiertenversammlung teilzunehmen. Es kam zu einem heftigen Wortwechsel. Schließlich warf der Meister den Gesellen zur Werktür hinaus. Schmidt beschwerte sich darüber beim Stadtrat, der ihn dafür zwei Tage in Arrest setzte. In einer Genugtuungsforderung der Gesellen an den Kurfürsten heißt es: 'Unser Vortrag ist die Sprache unseres Herzens, und da uns kein Advokat dienen will, so haben wir selbst die Feder ergriffen, um dem Rat Verantwortung abzufordern ...' Daraufhin legten alle Schneidergesellen die Arbeit nieder und erklärten, daß sie solange die Arbeit nicht wieder aufnehmen würden, bis ihnen Genugtuung geschehen sei. Der Stadtrat und die Regierungsbehörde aber antworteten mit Gewalt. Das Militär besetzte die Schneiderherberge, in der sich die Streikenden versammelt hatten, und gingen nach nochmaligen einmütigen Protest der Gesellen zu Verhaftungen über. In dunkler Nacht wurden annähernd 300 Schneidergesellen, in kleine Trupps aufgeteilt, nach dem 'Gewandhaus' und der 'Fronfeste' in Arrest gebracht. Eine geschlossene Streikfront entstand Doch da geschah etwas, woran die reaktionären Gewalthaber nicht gedacht hatten: etwa 4.000 Gesellen der übrigen Handwerke erklärten sich mit den Verhafteten solidarisch und stellten die Arbeit ein. Die Maurer und Schmiede, Schlosser und Zimmerleute, Schuster und Sattler, Tapezierer und Perückenmacher streikten. Da sich auch die Bäcker-, Fleischer- und Brauergesellen dem Streik anschlossen, mußten Lebensmittel vom Dorfe hereingeholt werden. Die ganze Stadt war wie aus dem Häuschen. Vor allem die Gefängnisse, in denen sich die Schneider befanden, waren von einer erregten Menschenmenge umgeben, die durch Rufen und heimliches Zuführen von Nahrung und Getränken eindeutig für die Gesellen Partei ergriff. Die 'Fronfeste' wurde sogar erbrochen und die Wache überrumpelt. Die in Furcht und Schrecken versetzten Behörden sahen sich nach Militärverstärkung um. Und da kamen sie auch schon auf dem Altmarkt und auf anderen Plätzen an, in voller Kriegsbereitschaft, mit Kavallerie und Kanonen ausgerüstet. Bei der Schuster-, Schmiede- und Maurerherberge kam es zu blutigen Zusammenstößen. Wilde Gerüchte von einem allgemeinen Volksaufstand in anderen Städten gingen um. Dresden würde bald in Flammen aufgehen usw. Inzwischen waltete die reaktionäre feudale Justiz ihres Amtes. Einzeln verhörten die Richter die Gefängnisinsassen. Einem jeden Gesellen hielte sie vor, daß er den Bürgerrechts- und Meisterrechtsanspruch auf immer verlieren würde und auf Jahre ins Gefängnis käme, wenn er nicht in Kürze sich zu seiner Arbeit zurückbegebe. So voneinander getrennt, eingeschüchtert und bedroht, wurden die meisten unsicher. Nach ungefähr fünftägigem Streik fanden sich viele Gesellen wieder bei ihren Meistern ein. Einige aber weigerten sich und forderten eine erneute ordentliche Rechtsprechung. Doch sie wurden abgeurteilt und mußten ihre Kampfentschlossenheit für ihre gerechte Sache mit schweren Zuchthausstrafen büßen. Der Feudalismus hatte abgewirtschaftet Trotz des Sieges der reaktionären Machthaber, der nur durch blutige Unterdrückung und durch die Isoliertheit des Kampfes der Unterdrückten möglich war, hinterließ der Dresdner Gesellenstreik einen gewaltigen Eindruck. Die Gesellen aller städtischen Handwerke hatten in einer bis dahin in Sachsen nicht vorgekommenen Solidaritätsaktion ihre Interessen gegenüber einer scheinbar übermächtigen reaktionären Staatsgewalt vertreten. Während bis zu diesem Zeitpunkt die Gesellenunruhen in Dresden einen begrenzten zünftlerischen Charakter trugen, geschah es hier zum ersten Mal, daß die Gesellen ihre engen Zunftinteressen überwanden, sich ihrer gemeinsamen Ausbeutung und Unterdrückung bewußt wurden und geschlossen kämpften. Blitzartig beleuchteten die Dresdner Geschehnisse die soziale Lage der Handwerksgesellen in dieser Zeit. Das feudale Zunftwirtschaftssystem war morsch und krachte in allen Fugen. Die von staatlicher Seite vorgeschriebene Zunftordnung ließ eine freie Entwicklung des Handels nicht zu. Der Markt konnte nicht mehr befriedigt werden. Die hohen Abgaben der Zünfte an den feudalen Staat versuchten die Meister dadurch auszugleichen, daß sie die Gesellen ausbeuteten und sie durch alle möglichen Schikanen daran hinderten, Meister zu werden." Alfred Opitz: Sie erhoben sich wie ein Mann. Mächtiger Streik der Dresdner Handwerksgesellen im Jahre 1794, in: "Sächsische Zeitung" vom 10. Dezember 1953 Online
- ↑ Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner 1797, S. 428.
- ↑ Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner 1797, S. 431f.
- ↑ Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner 1797, S. 433.
- ↑ Zeitgenössisches Pfandleihformular mit Einkreisstempel! - Unterschrieben vom Kassier und Kontrolleur (Mannheim 1810).
- ↑ "Dresdner Adress-Kalender" 1809, S. 118f.
- ↑ Adressbuch Dresden 1816, S. 100.
- ↑ Dresdner Adress-Kalender 1823, S. 113.
- ↑ Dresdner Adress-Kalender 1829, S. 117.